Menschen

Mit dem Trabbi in die Bezirksklasse

„Wenn ich den Platz heute sehe, blutet mir das Herz.“ Roland Schneider steht am Sportplatz Friedhofstraße in Gittersee. Vor ihm liegt ein heruntergekommener Hartplatz. Vorbei die Zeit, als hier saftiger Rasen grünte. Heute ist nur noch eine Wüste aus Staub und spitzem Split übrig – vom Fußballfieber der 1960er und 70er Jahre fehlt jede Spur. „Was haben wir hier für packende Spiele erlebt. Bis zu 500 Zuschauer waren damals bei den Aufstiegsduellen zur Bezirksklasse dabei“, schwärmt Schneider ein wenig wehmütig und fügt hinzu: „So ein Stadt- Derby hat immer einen ganz besonderen Reiz – egal in welcher Klasse man kickt. Da spielte es keine Rolle, ob es gegen die ärgsten Konkurrenten aus der Nachbarschaft oder die Vorherrschaft in der Tabelle ging. Spitzenbegegnungen wie gegen die Lokalrivalen Löbtau, Bannewitz und Possendorf waren regelmäßig Höhepunkte unserer Saison.“

Leidenschaft, Kampf, Ehrgeiz und Harmonie

Mitte der Sechziger gelang den Kickern der SG Gittersee der Aufstieg in die Bezirksklasse. 18 Jahre hielten sie sich dort. „Leidenschaft, Kampf, Ehrgeiz und Harmonie – für uns gab es nur eines – den Fußball. Das Materielle stand im Hintergrund, der Sport war alles“, erinnert sich der großstädtische Ballkünstler mit funkelnden Augen. 480 Spiele bestritt Schneider in der Bezirksklasse und schoss dabei über 180 Tore. Schon damals stand nach jedem Sieg ein Kasten Bier in der Kabine. Es waren diese kleinen Dinge, die gezählt haben. Für größere Vorhaben fehlte auch zu jener Zeit das Geld. Finanzielle Mittel für einen Mannschaftsbus gab es nicht. Bei den kleineren Vereinen hat sich daran bis heute nicht viel geändert, weiß der Routinier alter Schule. Wenn die Männer der SG Gittersee zu ihren Auswärtsfahrten aufbrachen, war das eine zeitaufwendige Sache und bedurfte im Vorfeld einiger Planung. Auf Grund der Ligaeinteilung kickte die Mannschaft aus dem Süd-Westen Dresdens in den Kamenzer und Bautzner Staffeln. „Ich erinnere mich noch genau an ein Spiel in Altenberg. Um die ganze Mannschaft dort hinzubringen, mussten wir zweimal mit dem Trabbi zwischen Gittersee und Altenberg pendeln“, erzählt Roland Schneider schmunzelnd. Da war noch Improvisationskunst mit geringsten Mitteln gefragt.

Veränderungen

1972 die Wende: Das Reifenwerk VEB Pneumant aus Dresden Coschütz lotste die Fußballer der SG Gittersee in die Betriebssportgemeinschaft des bekannten DDR-Reifenherstellers. Die Offerte war zu verlockend, die finanzielle Situation bei Pneumant um ein Vielfaches besser. Fast die gesamte Fußballsektion der SG nahm das Angebot an und wechselte. Trainiert und gespielt wurde mit nicht weniger Hingabe und Spaß nun ein paar Straßen weiter auf dem Schlacke-Hartplatz Mannheimer Straße, der immerhin eine Flutlichtanlage zu bieten hatte. „Krankheitsbedingte Ausfälle gab es bei uns damals kaum, sonst hätten wir ja Training oder ein wichtiges Spiel verpasst. Woche für Woche standen wir auf dem Fußballplatz. Dafür musste die Familie zurückstecken – die Kehrseite der Medaille. Aber wenn du im Herzen ein richtiger Fußballer bist, verlierst du nie die Leidenschaft fürs Spiel. Das ist wie eine Droge. Dein ganzes Leben lang.“

Foto: Privat

28. Juli 2015

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