Unterwegs

Reisebericht: Patagonien

Patagonien

Raus aus dem Schlafsack, raus aus dem Zelt. Der erste Blick draußen geht zum Himmel. Wolkig. Windig. Trocken. Gut! Im Schein der Stirnlampe kramen wir Kamera und Stativ hervor, dann stiefeln wir los – hinauf zum Aussichtspunkt an den Torres del Paine. Es ist noch dunkel, die Uhr zeigt vier. Die Paine-Türme haben einem der bekanntesten Nationalparks Chiles den Namen gegeben. 170.000 Besucher kamen im Jahr 2013 in den Parque Nacional Torres del Paine. Unser Sonnenaufgangs-Aussichtspunkt liegt nicht einmal eine Stunde oberhalb des Zeltplatzes Campamento Torres. Dennoch teilen wir uns den Aufstieg im Blockgelände an diesem frühen Morgen Ende Dezember mit nur wenigen Gleichgesinnten. Wie Glühwürmchen arbeiten wir uns im Schein der Stirnlampen den Hang hinauf.

Sonnenaufgang an den Paine-Türmen

Mit dem ersten rötlichen Schimmer des Tages ist der Mirador erreicht. Jeder sucht sich ein Plätzchen im groben Blockwerk – zum Schauen, Staunen, Genießen oder Fotografieren. Um fünf Uhr ist die Welt noch farblos. Eine halbe Stunde später beginnen die rotorange glühenden Wolken zu tanzen, dann legt sich ein goldenes Leuchten über die Granitwände der drei Paine-Türme, während die Wolken darüber hinwegflitzen. Kameras klicken. Eine Viertelstunde später verblassen die Farben, die Wolkendecke wächst, und als wir um acht durch dichten Südbuchenwald zum Refugio Chileno absteigen, ist von Torre Norte, Torre Central und Torre Sur nichts mehr zu sehen. Gestern Nachmittag sind wir vom Hotel Las Torres hinaufgewandert ins Valle Ascencio, um am Abend das Camp am Abzweig zum Torres-Aussichtspunkt zu erreichen. Wer hier übernachtet, hat den kürzesten Weg zum Sonnenaufgang an den Paine-Türmen. Das Valle Ascencio ist der erste Teil des „W“, der bekanntesten Trekkingtour im Park. Sie führt zu den schönsten Aussichtsplätzen auf der Südseite des Paine-Massivs und lässt sich dank der gut ausgebauten Infrastruktur auch ohne Zelt absolvieren. Wer das eigene Schneckenhaus mitträgt, hat jedoch wesentlich mehr Übernachtungsoptionen.

Orchideen am Wegesrand, die Felshörner im Blick

Porzellan-Orchideen wachsen in dichten Büscheln gleich neben dem Weg. Rot leuchten die Blüten der Feuerbüsche und die Früchte der Krähenbeere. Entlang des Lago Nordenskjöld, benannt nach dem schwedischen Geologen, der den See Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckte, geht es nach Südwesten. Es tröpfelt aus tiefhängenden Wolken, als wir in ständigem Auf und Ab oberhalb des Seeufers entlangwandern. Am späten Nachmittag erreichen wir das Refugio Cuernos unterhalb der Cuernos del Paine. Nach einer örtlichen Legende sollen die Felshörner in Wirklichkeit versteinerte Krieger sein. Jedenfalls sind die markanten Granitformationen weltbekannt. Das Refugio bietet Mehrbettzimmer und Zweier-Bungalows. Wir stellen unser Zelt auf einer der Holzplattformen des dazugehörigen Campingplatzes auf. Am anderen Morgen blinzeln zwar die Cuernos aus den Wolken, aber über dem Valle del Francés, unserem nächsten Ziel, ballt sich dichtes Grau. Deshalb entscheiden wir uns dafür, gleich zum Lago Pehoé weiterzuwandern. Eine ebenso abenteuerliche wie malerische Hängebrücke leitet über den Rio del Francés. Am Lago Skottsberg entlang geht es zum Refugio Paine Grande; je näher wir der Hütte kommen, umso stärker fegt der Wind über die freien Flächen. Von hier aus sind es drei bis vier Stunden Gehzeit bis zum Refugio Grey in der Nähe des gleichnamigen Gletschers, aber da wir den morgigen Tag lieber für eine Rundfahrt im Park nutzen wollen, steigen wir jetzt aufs Schiff um. Der Linien-Katamaran verbindet Paine Grande mit Pudeto auf der anderen Seeseite und befördert Wanderer und Trekker genauso wie Mountainbiker samt Rädern.

Perfektes Paine-Panorama

Die Fahrpläne von Schiff und Bus sind aufeinander abgestimmt, und so können wir die Tour nahtlos fortsetzen – auf der aussichtsreichen Schotterstrecke zum Parkeingang bei der Laguna Amarga halten wir schon einmal Ausschau nach möglichen Fotoplätzen für morgen. Der Hotel-Shuttle bringt uns schließlich zur Hostería Las Torres zurück, wo unser Mietwagen steht. Nach zwei Nächten im Zelt genießen wir eine heiße Dusche, ehe wir im Panoramarestaurant mit einem Pisco Sour auf unsere Tour anstoßen, die noch gar nicht zu Ende ist. Am nächsten Morgen sind die dicken grauen Wolken verschwunden, die Sonne lacht. Der Wind zaust die Margeriten und treibt den Staub der Schotterstraße wie einen Kreisel vor sich her. Direkt neben der Hauptroute durch den Park liegt ein Guanako im Gras und demonstriert patagonische Gelassenheit: Es lässt sich von den Fahrzeugen kein bisschen irritieren. Waren wir in den vergangenen Tagen nördlich des Lago Nordenskjöld unterwegs, blicken wir nun von Süden her über sein türkisblaues Wasser auf die unverwechselbaren Cuernos del Paine. Zahlreiche Aussichtspunkte bieten herrliche Panoramen, und erstmals sind auch die höchsten Gipfel im Park sichtbar: das Massiv des Cerro Paine Grande, dick vergletschert und mehr als 3000 Meter hoch. Mit Muße bummeln wir am Ufer des Lago Pehoé entlang, bestaunen den Wasserfall Salto Grande und die immer neuen Perspektiven. Blühender Besenginster säumt die Straßen, in der Ferne blinken schneebedeckte Gipfel.

Infos für Touristen

Der Nationalpark Torres del Paine liegt in Patagonien, im Süden Chiles, etwa 100 km nördlich von Puerto Natales. Erreichbar per Bus oder Mietwagen. Tages- und Mehrtageswanderungen auf teils steilen, aber gut markierten Wegen führen zu Aussichtspunkten, etwa zum Mirador Torres del Paine. Ausdauer und Trittsicherheit sind vonnöten. Beliebte Mehrtages-Trekkingtouren sind das „W“ und die sehr anspruchsvolle Umrundung des Paine-Massivs (das „O“). Unterkunft in Berghütten oder auf ausgewiesenen Campingplätzen; Vorab-Reservierung vor allem in der Hochsaison empfehlenswert. Bei DIAMIR Erlebnisreisen ist die Paine-Umrundung als geführte Kleingruppenreise buchbar; das „W“ lässt sich als individueller Reisebaustein buchen. Als beste Reisezeit für Wanderungen und Trekkingtouren gelten die Monate Dezember, Januar und Februar. Besucher sollten sich auf rasch wechselnde Witterungsbedingungen und starken Wind einstellen. Mehr Informationen über das Reiseland unter www.chile.eu.

Über die Autorin

Die Journalistin Sandra Petrowitz hat gleich drei ihrer Leidenschaften zum Beruf gemacht: Schreiben, Fotografieren und Reisen. Sie ist Mitherausgeberin des Fotomagazins Fotoespresso, leitet Fotoreisen unter anderem nach Botswana und Jordanien sowie in die Polarregionen und arbeitet als Guide auf Expeditionskreuzfahrtschiffen in der Arktis und der Antarktis. Ihr Buch „Reisefotografie – 20 Tipps für bessere Bilder“ ist im dpunkt-Verlag erschienen.

Fotos: Sandra Petrowitz, DIAMIR Erlebnisreisen

19. Januar 2020

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