Unterwegs

Reisebericht: Marokko

Hoher Atlas, Königsstädte und Sahara

Reisebericht: Marokko

„Marokko, sagt man, ist ein Land der Gegensätze, ein Ort der Begegnungen und des Dialogs, zwischen den Kulturen und Religionen, der Raum für eine bewegte Geschichte und eine reiche, vielfältige und rebellische Phantasie. Man sagt vieles und alles ist wahr, aber doch viel zu allgemein, um dieses Land zu beschreiben. Ich würde sagen, dass Marokko einer Zimmerflucht gleicht, deren Türen sich öffnen, wenn man durch sie hindurchgeht. Jede Tür eröffnet einen anderen Ausblick: auf einen Raum, ein Gesicht, eine Stimme, ein Geheimnis.“ - (Tahar Ben Jelloum, marokkanischer Schriftsteller)

Mit diesen fabelhaften Worten begab ich mich auf eine eindrucksvolle Tour durch das nordafrikanische Land. Sehr kurzfristig hatte ich die Möglichkeit erhalten, eine kleine Gruppe zu begleiten. Es sollte meine erste Reise nach Marokko werden. So war ich sehr gespannt darauf, was mich wohl erwarten würde und die Vorfreude war riesengroß. Mit Royal Air Maroc ging es von Berlin via Casablanca nach Marrakesch, dem Ausgangspunkt der Tour. Drei weitere Teilnehmer sollten uns bereits in Marrakesch erwarten – sie hatten sich für ein individuelles Vorprogramm entschieden, um die imposanten Wasserfälle von Ouzoud zu bewundern.

Bereits auf dem Flug nach Casablanca durfte ich das allererste Mal Bekanntschaft mit der marokkanischen Gastfreundlichkeit machen. Neben mir saß ein junger Student aus Marokko, der mir bei der Auswahl der Bordgerichte mit einem perfekten Deutsch half. Wir tauschten uns über Herkunft, Interessen und Reiseabsichten aus. Während unserer Unterhaltung gab er zu, dass er kostenfrei mitfliegt, da sein Vater als Pilot bei der Airline tätig ist und er ihn jetzt über die Feiertage in Agadir, seiner Heimat, besucht. „Feiertage?“, frage ich. „Ja, die nächsten drei Tage. Wir feiern das Opferfest.“, erklärte er mir. Das Hammelfest sind die bedeutendsten muslimischen Feiertage – ähnlich wie unser Weihnachtsfest. Dies bedeutete, dass das alltägliche Leben still stehen wird. Er wies daraufhin, dass viele Geschäfte in Marrakesch geschlossen haben und verabschiedete sich in Casablanca, wo sich unsere Wege trennten.

Die nächsten Tage wanderten wir entlang tiefeinschneidender Täler und vorbei an vielen kleinen Berberdörfern, die ihr ganz eigenes Bewässerungssystem in der kargen Gegend ausgeklügelt haben: Vom Talanfang bis zum Talende gibt es Kanäle parallel zum Bach im Tal, diese bewässern die Felder und Walnuss Haine der Dorfbewohner. Damit das kostbare Wasser gleichmäßig verteilt wird, darf am Montag Dorf A seine Felder bewässern und am Dienstag Dorf B usw. Hier lebt der Mensch noch in Einklang mit der Natur. Als krönenden Abschluss stand uns die Besteigung des Jebel Toubkal bevor. Er ist mit 4.167 m der höchste Berg Marokkos und ganz Nordafrikas. Bewaffnet mit Stirnlampen starteten wir vor Sonnenaufgang und erreichten nach fünf Stunden den Gipfel mit der berühmten stählernen Gipfelpyramide. Am Gipfeltag schlossen wir schnell Freundschaften mit anderen Bergsteigern. Wieder heil unten angekommen, begossen wir unser Gipfelglück mit eigens mitgebrachtem Bier.

Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt im spartanischen Flughafenterminal von Casablanca ging es zu später Stunde weiter nach Marrakesch. Als wir dort ankamen, waren wir erstaunt über die helle und ultramoderne Flughafen-Halle. Willkommen im Land der Gegensätze! Im November 2016 fand hier die UN-Klimakonferenz statt. Extra für dieses Ereignis wurde ein Prunkbau in die Wüste gesetzt, welcher im Kontrast zur UNESCO-geschützten Altstadt steht. Am Ausgang empfing uns unser einheimischer Reiseleiter „Ji“, der von nun an bis zum Ende der Erlebnisreise unser treuer Begleiter sein sollte. Nach kurzer Fahrt erreichten wir unsere Unterkunft, ein Riad – ein traditionelles marokkanisches Haus mit Innenhof und Garten.

Ausgeschlafen sollte es am nächsten Tag auf Stadtrundgang durch die Medina, so wird im arabischen Raum die Altstadt bezeichnet, gehen. Jedoch hatte der geplante Stadtführer uns abgesagt – vermutlich wegen der Feiertage. Unser Reiseleiter berichtete, dass sehr viele Einwohner während des Opferfestes aufs Land zu ihren Familien fahren. Ji gelang es aber aufgrund seiner sehr guten Kontakte kurzerhand einen Stadtführer für den Nachmittag zu organisieren. Um den freien Vormittag zu nutzen, begaben wir uns selbst auf eine erste kleine Erkundungstour, welche im Gerberviertel am anderen Ende der Medina enden sollte. Zum Hammelfest herrscht hier Hochbetrieb. Wer noch nie eine Gerberei besichtigt hat, sei gewarnt vor dem bestialischen Gestank, der kaum erträglich ist. Je näher wir zum Viertel kamen, desto schlimmer wurde der Geruch. Am Eingang erhielten wir dann frische Minzblätter, mit deren Hilfe es halbwegs auszuhalten war. Hier wird noch nach jahrhundertealter Tradition Leder hergestellt – beeindruckend wie die Arbeiter bei Hitze und Gestank ihr Handwerk ausüben. Jedoch drängte langsam die Uhr und wir begaben uns auf den Rückweg zum Treffpunkt mit unserem Stadtführer. In den engen, verwinkelten Souks (Gassen) der Medina wurde mein Orientierungssinn mächtig auf die Probe gestellt. Erst nachdem das GPS Signal am Handy eingestellt war, konnten wir unseren vereinbarten Treffpunkt, den Djemma el Fna, finden. Der Gauklerplatz ist die Quintessenz Marokkos, pure Exotik: Tänzer, Musiker, Akrobaten, Schamanen und Schlangenbeschwörer. Garküchen locken mit ihren Düften. Der perfekte Ausgangspunkt für eine Stadtbesichtigung. Unser Stadtführer Mussa zeigte uns die bedeutendsten Sehenswürdigkeiten, wie den prachtvollen Bahia Palast mit seinen endlosen Mosaiken, und berichtete stolz von seinen prominenten Gästen, die er bereits durch sein Marrakesch führen durfte. Am Abend rundeten wir den Tag ab mit einem stimmungsvollen Abendessen über den Dächern von Marrakesch.

All das war nur der Auftakt für die kommenden Tage, denn bereits am zweiten Tag ging es endlich in die Berge, den Hohen Atlas, für unser Zelttrekking. Auf dem Weg dahin hielten wir kurz in der Neustadt an einem Einkaufszentrum, um uns mit persönlichen Lieblings-Snacks einzudecken. Wieder staunten wir nicht schlecht über die modernen Ausmaße: Produktvielfalt wie in unseren Großmärkten, reichhaltiges Alkoholsortiment trotz Islam und geöffnet am Feiertag. Erneut ein starker Gegensatz im Vergleich zur magischen Medina von Marrakesch. Hoch in den Bergen in Oukaimenden (im Winter ein Skigebiet!) begann unser Trekking. Die erste Nacht verbrachten wir bei Berbern, die größte Volksgruppe in Marokko. Sie sprechen eine eigene Sprache und besitzen ihre eigene Schrift. Die meisten gelten aber als arabisiert. So feierten auch unsere Gastgeber das Opferfest ausgiebig. Hier oben in den Bergdörfern des Hohen Atlas ist es Brauch, dass sich die Teenager in Schafsfellen verkleiden und ihr Gesicht dunkel bemalen. Mit diesem martialischen Outfit werden dann die Kinder wörtlich durch das Dorf gejagt. Ein beliebtes Spektakel bei Jung und Alt, das zum Opferfest einfach dazu gehört. Selbstverständlich baten Sie mich auch daran teilzunehmen. Ich machte den Spaß mit und nach einer kurzen Weile hatten mich die stolzen Jungs auch schon eingefangen.

Nach einer letzten Nacht im Hohen Atlas, die ich freiwillig unter freiem Sternenhimmel im Schlafsack verbrachte und wohl nie wieder vergessen werde, stiegen wir mit etwas Wehmut ab ins Tal bis nach Imlil, das größte Berberdorf im Hohen Atlas und Ausgangspunkt vieler Trekkingtouren. Hoch oben auf einem Hügel im Tal logierten wir in einem Berber-Gästehaus mit phänomenalen Ausblick Richtung Marrakesch und Toubkal. Nach sieben Tagen Trekking mit nur spärlichen Waschmöglichkeiten sehnte ich mich nach einer Rasur. Was gäbe es da passenderes als ein Besuch beim Barbier! Ji begleitete mich und wir fanden schnell im Dorf einen professionellen Barbier, der sich meiner annahm. So machte er sich unter Beobachtung der halben Dorfjugend ans Werk und brachte auch meinen geliebten Bart wieder in perfekte Form – ein tolles Erlebnis!

Nach den Anstrengungen und Entbehrungen der letzten Tage stand erst einmal Entspannung auf dem Programm. Entlang der Straße der Kasbahs fuhren wir Richtung Ouarzazate. Kasbahs, das sind alte Lehmburgen, die sich hier an der Straße reihen wie Perlen an einer Kette – Zeugnisse von der Blüte des regen Salzhandels in der Gegend. Am Abend erreichten wir Ait Ben Haddou: faszinierende Lehmburgen machten dieses Dorf vor der malerischen Kulisse des Hohen Atlas zu einer Kulisse für viele Hollywood Filme – wohl bekanntester ist der oscarprämierte Film Gladiator.              

Hoher Atlas, die zweite: Nach der kleinen Regeneration bei den Kasbahs fuhren wir weiter zu unserem nächsten 4.000er, dem Ighil M’Goun. Auf dem Weg dahin hielten wir im „Tal der Rosen“ bei einem befreundeten Berber von Mohamed und wurden zum Mittagessen eingeladen. Wir wurden wieder verwöhnt mit einer leckeren Tajine und Berber Whiskey - eine gute Grundlage für die bevorstehende Herausforderung. Nach dem Mittagessen gab es ein Fahrzeugwechsel und ein alter rüstiger Mercedes Allrad Bus brachte uns über zwei hohe Pässe und abenteuerliche, unbefestigte Serpentinen in ein kleines abgelegenes Berberdorf, dem Ausgangspunkt der M’Goun Besteigung.

Früh morgens starteten wir unter einem wunderschönen Sternenhimmel den zweiten Gipfeltag. Vorbei an einigen kleinen Schäfereien, Azibs, ging es stetig bergauf. Die Schäferhunde begrüßten uns jedes Mal schon von weither und wichen uns beim Passieren der Schafsherden nicht von der Seite. Bis auf 3.500 m begleiteten uns die Schafsherden links und rechts des Weges. Nach acht Stunden Aufstieg und einem knackigen Schlusshang erreichten wir den 4.071 m hohen Ighil M’Goun. Oben angekommen, wurden wir belohnt mit einer atemberaubenden Aussicht weit über das Atlasgebirge. Zu unserer großen Überraschung kreisten zudem zwei Bartgeier über unseren Köpfen. Bartgeier gelten als äußerst seltene Exemplare und sind die größten Greifvögel in Gebirgen der nördlichen Hemisphäre. In Marokko gibt es Schätzungen zu Folge nur noch 30 Stück – wir durften uns sehr glücklich schätzen über diese seltene Sichtung. Mit diesen unvergesslichen Eindrücken vergingen die vier Stunden Abstieg wie im Flug. Ausgepowert gingen wir zeitig schlafen und träumten von unserem nächsten Ziel, der Sahara.

Am nächsten Morgen durften wir wieder zuerst die abenteuerliche Fahrt über die zwei Bergpässe zum Tal der Rosen meistern, bevor uns die Reise weiterführte entlang des Dadestal und der spektakulären Todraschlucht zum Erg Chebbi – eine Sandwüste wie man sie sich erträumt hat. Hier erwartete uns ein Erlebnis der besonderen Art: Ein Kamelritt durch die Sahara mit Übernachtung bei den Beduinen und morgendlicher Sonnenaufgang von einer Sanddüne aus betrachtet. So eine Fahrt mit dem „Wüstenschiff“ ist eine sehr wackelige Angelegenheit, an die ich mich wohl nie gewöhnen werde. Aber schon vor tausend Jahren konnte mit Hilfe dieser robusten Tiere Handel in den teils sehr abgelegenen Gebieten südlich des Hohen Atlas betrieben werden. Nach einem Trommel-Workshop am Abend mit den Beduinen legten wir uns auf einen Dünenkamm und zählten bei sternenklarem Himmel die vorbeihuschenden Sternschnuppen. Noch vor Sonnenaufgang reiteten wir zurück zum Ausgangspunkt und beobachteten von einer großen Sanddüne den malerischen Sonnenaufgang über dem Horizont der schier endlosen Sahara.

Nun begann der letzte Teil dieser abwechslungsreichen Reise: Wir fuhren weiter in Richtung alte Königsstadt Fès und passierten auf dem Weg über das Atlas Gebirge die „Apfel-Hauptstadt“ Midelt. Je nördlicher wir fuhren, desto grüner wurde es. Die Vegetation ist im Norden Marokkos viel ausgeprägter als im kargen Süden des Landes. An einem Pausenpunkt im dichten Zedernwald gab es eine kurze Begegnung mit den nur hier vorkommenden Berberaffen. Kurz bevor wir Fès erreichten, kamen wir an Ifrane vorbei. Ji hatte uns bereits über das „St. Moritz von Marokko“ aufgeklärt. Hier lebt die Elite des Landes: Neben Top Universität, sauberen Pracht-Boulevards und europäisch wirkenden Einfamilienhäusern gibt es sogar einen eigenen Flughafen für die Kleinstadt.

Der vorletzte Tag stand ganz im Zeichen der alten Königsstadt Fès. Mit unserem versierten Stadtführer erkundeten wir Töpfereien, Gerbereien und die große Medina – wahrlich ein Labyrinth aus dem man alleine nie wieder herausfinden würde. Das Gewirr der Gassen hier bezaubert mit einzigartigem, mittelalterlichem Charme. Man fühlt sich in das Reich von Aladin zurückversetzt. Diesen eindrucksvollen Tag rundeten wir in einem alten Palast, umgebaut zu einem Restaurant mit viel Atmosphäre, ab. Gefühlt war das schon unser Abschiedsessen, denn am nächsten und letzten Tag stand noch die Fahrt nach Casablanca, unserem Rückflugort, an. 

Verzaubert durch die Eindrücke des letzten Tages besichtigten wir auf dem Weg nach Casablanca die alte römische Stadt Volubilis mit seinen antiken Mosaiken, die Königsstadt Meknès mit dem wohl prachtvollsten Stadtmauertor von Nordafrika und die neue Hauptstadt Rabat mit dem Königspalast. Am Abend erreichten wir Casablanca mit der imposanten Hasan II Moschee, gewidmet dem verstorbenen alten König. Das Minarett ist 215 m hoch und wirkt wie ein Leuchtturm über der Stadt. Voller intensiver Eindrücke und Erlebnisse setzten wir uns wieder in den Flieger, der uns nach Hause brachte. Dieses Mal blieb keine Zeit für ein nettes Gespräch mit dem Sitznachbarn, denn schon bald fiel ich in einen tiefen Schlaf und träumte von 1000 und einer Nacht.

Reisebericht & Fotos: Maximilian Welsch

26. Juli 2018

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