Reisebericht: Korsika
Insel der Vielseitigkeit
Es ist 6:50 Uhr und über den noch komplett ruhigen Tälern von Calenzana färbt die Morgensonne die ersten Bergspitzen rot. Das frühe Aufstehen macht sich bezahlt, die Temperaturen sind sehr angenehm zum Laufen. Noch. In Gedanken gehe ich den Inhalt meines Rucksacks durch. Was habe ich wohl vergessen? Und viel wichtiger: Was packe ich als erstes aus, sobald ich die Gelegenheit finde? Auf dem „Großen Spaziergang“, wie die Franzosen Europas schwersten Fernwanderweg liebevoll nennen, sollten selbst fitte Läufer auf den ein oder anderen Luxus verzichten. Die Kletterschuhe sind auf jeden Fall unnötig, abends lockt der einheimische Wein doch mehr als die Boulder nahe der Hütte. Kletterstellen wird es ohnehin die nächsten Tage immer wieder auf dem Weg geben.
Wir durchqueren Korsika von Norden nach Süden entlang des „Grande Randonnée 20“ (GR20), das bedeutet in Zahlen: 13 Tage bzw. 180 km Laufen, 15.000 Höhenmeter und dabei 15 bis 20 kg Rucksackgewicht. Der Beginn ist hochalpin und ein spektakulärer Ausblick jagt den Nächsten. Dennoch verschwindet die Kamera immer wieder im Rucksack aufgrund der bereits erwähnten Kletterpassagen. Mit guter Trittsicherheit, Schwindelfreiheit und vor allem auch genügend Beinkraft sind diese aber für jeden zu meistern und machen ganz klar auch den Reiz dieser Tour aus. Nach acht abenteuerlichen Tagen, an denen es kaum mal drei Meter am Stück horizontal ging, kommt ein Ruhetag gerade recht. Corte, im wunderschönen Restonica-Tal gelegen, ist mit seinen malerischen Gassen und den bunten Märkten dafür der perfekte Ort. So hakt man nach den sportlich herausfordernden Etappen mal eben noch einen Tag Urlaub im „klassischen Sinne“ ab.
Gestärkt und voller Vorfreude nehmen wir am folgenden Morgen den Südteil in Angriff. Das Gelände ist hier gutmütiger und die Wege besser begehbar. Das ist auch höchst willkommen, denn unsere Tagesetappen sind nun entsprechend länger, so dass die Belastung ähnlich bleibt. Entlang des Weges locken nach wie vor die erfrischenden Badegumpen, aber auch verschiedene Gipfel, die man nebenher noch „mitnehmen“ kann. Ein absolutes Highlight vor dem abschließenden Bad im Meer ist auf jeden Fall noch das „Massiv de Bavella“, welches von Kletterern für seine spektakulären Tafoni-Klettereien geschätzt wird.
Für jeden Bergliebhaber ist Korsika, die „Insel der Vielseitigkeit“, zu allen Jahreszeiten eine absolute Empfehlung. Wo sonst findet man Möglichkeiten zum Ski fahren (Langlauf und Abfahrt), Wandern, Klettern, Tauchen, Baden, Rad fahren, Hochtouren und Rafting auf derart engem Raum? Egal, was mir der Grande Randonnée körperlich und moralisch abverlangt, ich werde wieder kommen. Ich will mehr davon!
Autoreninfo
Konrad Schaarschmidt arbeitet als Reiseleiter auf Korsika, La Réunion und Island seit er 21 Jahre als ist. Privat zieht es ihn auch immer wieder in die Berge, zum Klettern, Trekken und Fotografieren. Er ist bekannt dafür, an unmöglichen Orten Kuchen und Schlagsahne aus dem Rucksack zu zaubern oder mal schnell mit dem Rad nach Norwegen zum Klettern zu fahren. In den Bergen sucht er sich die eher weniger bekannten Gipfel wie z.B. den 5.700 Meter hohen Pico de Orizaba in Mexico aus.
Fotos: Konrad Schaarschmidt
25. September 2015