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Interview: Steffen Klitschka

Steffen Klitschka

Steffen Klitschka gehört im Laufsport zu den Härtesten der Harten. Zu den Verrücktesten der Verrückten. Er läuft und läuft, manchmal sogar tagelang – das außergewöhnliche aber daran ist, er sieht kaum noch etwas! Bereits im Alter von 20 Jahren lief er die Marathondistanz in einer Traumzeit von zwei Stunden und 22 Minuten. Als DDR-Vizemeister lief er die 100 Kilometer- Distanz in sechs Stunden und 57 Minuten. Aber Marathons, von denen er immerhin 22 bewältigte, sind Steffen Klitschka immer noch nicht genug. 100 Kilometer-Läufe, 24-Stunden- Läufe, Extrembergläufe und mehrtägige Super- Marathons sind die Leidenschaft des Thüringers. Wenn Klitschka auf diesen Touren elf Tage unterwegs ist, kommen schnell einmal 730 Kilometer zusammen, wie im Jahre 2004, als er sich zu Fuß vom thüringischen Sonneberg nach Kap Arkona auf der Insel Rügen aufmachte. Wesentlich kürzer war der Thüringer 2008 unterwegs. In knapp vier Stunden überwand er 18.377 Stufen und einen Höhenunterschied von 1600 Metern bei einem knallharten Marathon auf der chinesischen Mauer. Die eigentliche Herausforderung begann damals jedoch schon vor dem Lauf mit der Suche nach einem Laufpartner. Ohne diesen wäre der Lauf nicht möglich gewesen, denn Steffen Klitschka ist durch eine angeborene Augenkrankheit fast blind! Gerade einmal fünf Prozent Sehkraft sind ihm auf dem linken Auge geblieben und rein medizinisch ist früher oder später mit einer vollständigen Erblindung zu rechnen. Sportlich hat ihn dies nie davon abgehalten Höchstleistungen zu erbringen und das Leben in vollen Zügen zu genießen. Im kommenden Juli will es der 47-Jährige noch einmal wissen und wird zusammen mit einem Begleiter eine Mammutdistanz von rund 2000 Kilometern durch Norwegen – von Oslo bis ans Nordkap – zu Fuß bewältigen.

Kannst du uns ein bisschen über deine Kindheit erzählen, wie war es in der Schule?
Na ja, wenn man mit dieser Sehbehinderung auf die Welt kommt, kennt man es nicht anders und denkt, alles ist normal! Bis zur Schule hatte ich zu meinem Handicap noch gar keine Beziehung aufgebaut. Natürlich begannen dann die Schwierigkeiten. Meine Lehrer und vor allem meine Mitschüler, mussten viel Arbeit leisten, um mich mit durchzubringen. Ein Wechsel in eine Blinden- und Sehbehinderteneinrichtung war zwar ein Thema, aber mein damaliger Schuldirektor wollte mich nicht von zu Hause wegschicken.

Wie schwer war es, mit dieser starken Beeinträchtigung der Sehkraft die passende Sportart zu finden?
Wie viele Jungs, begann ich sogar mit dem Fußball und spielte bis zur A-Jugend alle Klassen durch. Kampf und Ausdauer zeichneten mich schon immer aus. Mein ehemaliger Sportlehrer nannte mich nicht umsonst „Eisenhans“. Als ich den Ball dann immer weniger sah, und einige Verletzungen von Gegenspielern zu verantworten hatte, lief ich nur noch ohne Ball…

Gab es noch andere Sportarten, in denen du dich versucht hast bzw. die dich gereizt hätten?
Na klar, ich stamme aus einer schneesicheren Gegend. Da liegt es nahe, Langläufer werden zu wollen. Eines meiner wenigen sportlichen Vorbilder, der finnische Langlaufriese Juha Mieto, sollte mich dazu bringen. Leider waren die Schwierigkeiten schon zu weit fortgeschritten.

Wie bist du in den leistungsorientierten (Extrem-)Sport hineingerutscht?
Eigentlich wollte ich nur unsere Mädchen beeindrucken. (lacht) Damals standen Mädchen noch auf sportliche Typen, nicht auf Bierflasche, Zigarette oder dicke Autos. Ich lief einfach los und es wurde mehr und mehr. Heute habe ich das nicht mehr nötig, habe eine wunderbare Frau, zwei gesunde Kinder und immer noch meinen Sport.

Was waren deine prägendsten sportlichen Erlebnisse?
Sportlich wird natürlich für immer der Marathon auf der Chinesischen Mauer ganz oben stehen. Wenn man als Blind eingestufter Sportler fast 18.000 Treppen bzw. Stufen überlebt, ist das mehr als ein Wunder. Da muss ich auch meine Marathonbestzeit von 2:22 h und z.B. den 2. Platz in der DDR-Rangliste hinten dran stellen. Emotional und da komme ich zum Bergsteigen, werden mir für immer die Eindrücke aus Afrika in Erinnerung bleiben. Wir wollten die drei höchsten Berge Afrikas besteigen, es wurden aber nur die beiden 5000er, Margaritha Spitze am Rouwenzori Masiv und der Mount Kenia! Vor dem „Kili“ (Kilimandscharo, Anm. d. Red.), haben wir uns die Malaria eingefangen. Das war aber gegenüber der Armut und dem Elend, was wir hautnah erlebt haben, so etwas von nebensächlich. Diese Bilder, gerade von Kindern, werde ich nie mehr aus meinen Kopf bekommen. Ich hatte eine Krankheit, an der noch heute Millionen von Menschen sterben müssen, da sie sich das Medikament nicht leisten können. Auch das war sehr emotional!

Musst du dich aufgrund der eingeschränkten Sehkraft stärker konzentrieren oder läufst du nach Gefühl?
Ich erkläre es mal so: Man läuft ständig im dichten Nebel. Dieser Nebel wird immer mehr und immer dichter, na ja und eines Tages ist dann alles schwarz oder weiß. Weiß wäre mir allerdings lieber, wobei ich es mir bestimmt nicht aussuchen kann. Da ich zumindest meine Trainingsstrecke über 30 Jahre kenne, kann ich die bereits jetzt schon „blind“ laufen!

Wie konntest du überhaupt Läufe absolvieren, bei denen der Untergrund nicht eben ist und die Gefahr des Sturzes besteht wie auf der Chinesischen Mauer?
Gerade der Lauf auf der Chinesischen Mauer war oder ist für einen Sehbehinderten eine Extremsituation. Eigentlich ist er nur zu realisieren mit einem guten Begleitläufer und wenn man seit Kindheit mit dieser Behinderung umgehen muss. Ich möchte meinen Leidensgenossen nicht zu Nahe treten, aber ich glaube nicht, dass jemals wieder ein Läufer, zumindest mit dieser Zeit und Platzierung sowie mit eingestufter Blindheit, dieses Vorhaben bewältigen kann!

Wie groß ist überhaupt die Gefahr eines Sturzes oder eines Unfalls im Wettkampf bzw. Training?
Die Gefahr ist sehr groß! Ich habe viele Stürze hinter mir. Auf meiner Trainingsstrecke haben sich die Autos daran gewöhnt. Es sind meistens die Selben. Die Autobesitzer kennen mich alle und nehmen auch netterweise viel Rücksicht. Außer Riss- und Schnittwunden habe ich Gott sei Dank noch keine größeren Unfälle hinter mir. Eine Sache vielleicht, als ich beim berühmten Rennsteig Supermarathon schwer stürzte und mir Knie und Handinnenfläche aufgerissen habe, aber mich erst im Ziel nach 73 km behandeln und klammern lies.

Dein Vereinskollege Frank Kaim berichtete uns, dass du an die meisten Läufe sehr unbeschwert herangehst. Was gibt dir Sicherheit, woraus schöpfst du Vertrauen?
Da hat Frank absolut Recht! Was die Unfall- und Verletzungsgefahr betrifft, interessiert mich das am Start überhaupt nicht. Meine Begleitläufer geben mir die Sicherheit, müssen mich sogar zurückhalten, dass ich nicht übermotiviert bin und trotz meiner Erfahrung, die Läufe richtig einteile.

Hast du dich schon mal überschätzt und musstest aufgeben?
Beim Rennsteig Supermarathon bin ich mal mit eingeklemmtem Ischiasnerv an den Start gegangen. Bin aber erst nach ca. 30 km ausgestiegen. Was für ein Blödsinn!

Im Sommer hast du dir wieder einen Mammutlauf vorgenommen. Wie kommt man auf solche Ideen? Was treibt dich an?
Ich möchte einfach Zeichen setzen, dass man auch als Mensch mit körperlicher Einschränkung viel und Großes leisten kann. Nach meinen Lauf von Sonneberg zum Kap Arkona – 750 km in elf Lauftagen, den Lauf auf den Spanischen Jakobsweg – 950 km in 15 Lauftagen und natürlich dem Marathon auf der Chinesischen Mauer, wird es wieder mal Zeit den Hintern zu bewegen und etwas nicht alltägliches zumachen. Ich möchte mit meinen Begleitläufer Holger Steok, von Oslo aus ans Norkap laufen. Die Strecke soll uns durch Teile Norwegens, Finnlands und Schwedens auf 2000 km zum Nordkap führen.

Wie finanzierst du diese Läufe?
Ich bin froh, dass ich mir zumindest in meiner Gegend einen Namen erarbeitet habe. Meine treuen Sponsoren stehen immer hinter mir und helfen so gut es geht. Auch unsere Landrätin unterstützt mich bei meinen Projekten. Natürlich bin ich immer auf Spenden angewiesen. Na ja und ein bisschen Eigenes muss ich auch zusteuern.

Wie trainierst du generell und wie bereitest du dich im speziellen auf solche Ultraläufe vor?
So ein Mehrtages Ultra spielt sich zu 80 Prozent im Kopf ab. Natürlich muss man sich darauf vorbereiten und Trainingseinheiten von mehreren Stunden absolvieren. Man muss langsam, aber lange, das heißt auch im Training drei, vier oder fünf Stunden laufen. Ich trainiere alleine, meine Begleitläufer besuchen mich manchmal, so dass wir uns für solche Projekte einlaufen können.

Wie hoch ist die körperliche Belastung bei solchen Dauerstrapazen?
Die Belastung ist natürlich wahnsinnig hoch. Die Kunst dabei ist es, die Schmerzen auszublenden. Das klappt nicht immer ganz, aber so lange es keine gesundheitsschädigenden Schmerzen sind, muss man einfach weiter.

Was sagt deine Familie, wenn du fast nur in den Laufschuhen unterwegs bist?
Die Familie ist das Wichtigste überhaupt! Hier findet man die Kraft für solchen Blödsinn den ich mache… Wie schon erwähnt, habe ich eine wunderbare Frau, die voll hinter mir steht. Sie fährt das Versorgungsfahrzeug und ist damit wichtigster Bestandteil in meinem Team. Aber auch die gesamte familiäre Unterstützung ist bei mir super. Das beginnt schon mit der Absicherung der Aufsicht unserer sechsjährigen Tochter, der eine solche Strapaze nicht zuzumuten ist. Es sind aber auch Freunde und Bekannte, auf die ich mich immer verlassen kann.

Deine Augenkrankheit kann im schlimmsten Fall zur vollständigen Erblindung führen. Darüber redet man nicht gerne, aber ist diese eine Vorstellung, die dich mit Angst erfüllt? Sind die Paralympics für dich eine Option?
Nein, dass macht mir keine Angst. Ich weiß es doch, dass es morgen dunkel werden kann. Ich möchte auf jeden Fall weiterlaufen. So sehr viel schlechter kann es ja nicht mehr werden. Die Paralympics sind kein Thema mehr. Ich hatte mehrmals die Gelegenheit, war zu dieser Zeit aber zu eitel. Heute bin ich zu alt und ein Ultra bzw. ein 100 km Lauf ist nicht olympisch. Mich vielleicht noch auf 5000 m oder 10000 m quälen, dass ist nichts mehr für mich, da haut es mir nur die Oberschenkel um die Ohren…

Fotos: Privat

09. Dezember 2015

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