Menschen

Interview: Stefan Kretzschmar

Stefan Kretzschmar war ein Handballer der Extra-Klasse und ist bis heute noch ein Idol sowohl im sportlichen als auch im privaten Sinne. Der exzentrische Magdeburger schafft es auch nach seiner aktiven Sportlerkarriere immer noch, die Menschen zu polarisieren und zu unterhalten. Im PULSTREIBER-Interview spricht er über seine Lebensphilosophie, Spießigkeit, was er bedrohlich findet und über seine Rolle beim SC DHfK Leipzig.

Kannst Du Dir erklären, warum Du immer noch ein „Dauerbrenner“ bist?

Natürlich hatte ich eine größere Medienpräsenz in sportlichen Zeiten, aber ich habe mich nicht nur über den Sport definiert, sondern darüber hinaus andere Sachen ausprobiert. Da auch die beste Sportlerkarriere irgendwann mal ein Ende hat, habe ich schon frühzeitig versucht, mir in anderen Medienformaten einen Status zu erarbeiten, der über den eines „normalen“ Handballspielers hinaus geht. So bin ich beispielsweise Sport1-Kommentator, habe eine Zeit lang eine Sendung auf MTV moderiert und auch einige Sachen beim Radio gemacht. Ich habe versucht, so viel wie möglich auszuprobieren, was letztendlich auch dazu geführt hat, dass ich mich medial weiterentwickelt habe und demzufolge auch andere Zielgruppen ansprechen konnte. Zudem hatte ich natürlich auch eine Beziehung zu einer bekannten Frau, was der Sache bekannter zu werden, sicher auch nicht nachträglich war.

Was ist Deine Lebensphilosophie?

Es gibt da so einen kleinen Satz des Sängers der Band „Queens of the Stone Age“ und der lautet: „Lieber ein kleiner Teil von etwas Großem sein, als ein großer Teil von einem Haufen Scheiße“. Das ist eigentlich ein Zitat, was ganz gut zutrifft und zeigt, wie man das Leben so angehen sollte.

Wenn man Dich sieht, würde man Dich sicherlich nicht als spießig bezeichnen. In welchen Situationen bist Du trotzdem spießig?

Eigentlich bin ich in so ziemlich allen Bereichen des privaten Lebens spießig. Ich habe meine Familie und meinen Garten, wo ich auch mal den Rasen mähe. Wenn ich zu Hause bin, dann nutze ich die wenige Freizeit, die ich habe, und kümmere mich um ganz normale Alltagssachen, die Familienväter eben so machen, wie mit den Kids Zeit verbringen oder mit Freunden Essen gehen. Ich versuche dann einfach, die Zeit so oft wie möglich mit Leuten zu verbringen, die mir wichtig sind. Das ist nicht gerade das Leben eines Rockstars, sondern eigentlich das eines gemütlichen Familienvaters.

Mit wem würdest Du gerne mal ein Bier trinken?

Da gibt es eigentlich keine Person des öffentlichen Interesses, die mich reizen würde mit ihr ein Bier trinken zu gehen. Wenn ich es mir aussuchen könnte und wenn es die Zeit erlaubt, dann würde ich jederzeit lieber ein Bier mit meinen Freunden trinken gehen, als mit irgendwelchen Promis.

Du bist in Leipzig geboren und vielleicht auch bald wieder in Leipzig ansässig. Hast Du vor, in Leipzig alt zu werden?

Das ist definitiv eine Option. Wir fühlen uns in Magdeburg noch immer sehr wohl und haben dort auch schöne Verhältnisse zum Leben, besonders für die Familie. Aber wenn man 15 Jahre in der gleichen Stadt gelebt hat, dann kennt man einfach alles und jeden. Sicherlich haben wir in Magdeburg auch ein paar Annehmlichkeiten, die man sich woanders erst einmal erarbeiten müsste. Hier kennt man den Schuldirektor, den Zahnarzt und den Kinderarzt und wird natürlich auch ein bisschen bevorzugt behandelt – das ist sehr angenehm und erleichtert Einiges. Dennoch spricht einiges dafür, nach Leipzig zu gehen – je nachdem wie sich auch das Projekt DHfK entwickelt. Leipzig ist eine schöne Stadt und wir haben uns auch schon ein paar Mal überlegt, diesen Schritt zu gehen, aber das wird sicherlich noch eine Weile dauern. Wenn unsere Kleine in die siebte Klasse kommt und beim HCL im Frauenhandball spielen kann, werden wir uns vielleicht überlegen nach Leipzig zu ziehen.

Was gefällt Dir an Leipzig ganz besonders, was eher weniger?

Ich mag besonders das kulturelle Leben von Leipzig und die vielen Möglichkeiten, die man im Theater- oder Musikbereich hat. Das ist ein großer Unterschied zu Magdeburg. Es ist toll, wie die Stadt an sich restauriert wurde und dass es eine coole Kneipenstraße gibt. In diesem Zusammenhang spielt natürlich besonders die „Vodkaria“ (Leipziger Bar & Restaurant, Anm. d. Red.) eine ganz große Rolle für mich. Ich mag an Leipzig, dass es nicht so eine riesige Stadt wie Berlin ist, aber trotzdem sehr weltstädtisch wirkt, besonders durch den Flughafen und die Infrastruktur. Leipzig bietet die ideale Kombination zwischen Größe und Angebot. Es gibt eigentlich gar nichts, was mir nicht so gut gefällt. Das einzige Manko ist, dass es keine Halle gibt, wo wir unser DHfK-Projekt im jetzigen Stadium vorantreiben können. Wenn ich mir etwas aussuchen könnte, um die Stadt zu verändern, dann wäre es der Bau einer neuen Halle.

Planst Du Dein Leben konkret oder bist Du eher ein spontaner Typ?

Es bringt überhaupt nichts, das Leben zu weit nach vorn zu planen. Meine bisherigen Erfahrungen zeigen mir, dass es so viele Türen gibt, die jeden Monat irgendwie aufgehen und durch die sich so viele Möglichkeiten entwickeln können. Ich glaube nicht, dass man den richtigen Weg findet, wenn man mit Scheuklappen durchs Leben geht und nichts auf sich einwirken lässt. Wenn man Familie hat, ist es sicherlich wichtig, eine Absicherung über einen überschaubaren Zeitraum zu haben, aber man sollte sich nicht die Möglichkeiten, die sich einem bieten, verbauen. Von daher bin ich im Leben auch immer relativ spontan.

Wie hältst Du Dich momentan fit?

Ich versuche, einmal die Woche zu laufen und meine Liegestütze und Sit-Ups zu machen, damit ich nicht allzu fett werde. Es macht zwar keinen Spaß, aber es ist halt notwendig.

An welche Phase Deiner Karriere erinnerst Du Dich besonders gern?

Das geilste für jeden Sportler, und für mich auch, sind die Olympischen Spiele. Ich habe drei Olympische Spiele gespielt und die waren natürlich alle herausragend und beeindruckend. Besonders gern erinnere ich mich dabei natürlich an die Erfolge, die ich mit meiner Mannschaft gefeiert habe: der Champions-League-Sieg oder die Meisterschaft in Magdeburg waren etwas ganz Besonderes und bleiben für immer im Gedächtnis.

Und welche Zeit würdest Du lieber vergessen?

Das war Olympia in Sydney. Wer darüber mehr wissen will, kann sich mein Buch kaufen und lesen. Da steht die ganze Geschichte dazu drin. Aber auch solche negativen Erlebnisse prägen einen Menschen. Wann hattest Du zuletzt einen Handball in der Hand? Das ist noch gar nicht so lange her, das war im Februar beim All-Star- Game in Leipzig. Da habe ich in der Prominentenauswahl gespielt.

Besonders die Frauen sind von dir fasziniert, weil Du exotisch, rebellisch und ein „Bad Boy“ bist – wie siehst Du Dich selber?

Ich glaube, ob man hübsch oder hässlich, sympathisch oder unsympathisch rüberkommt, hat mit dem Äußeren relativ wenig zu tun. Aber leider denken die meisten Leute so und das ist auch gut so, weil ich ja will, dass die Leute den Eindruck, den sie von mir haben, behalten. Eigentlich ist es die perfekte Fassade, um gemütlich durchs Leben gehen zu können, weil die meisten mich aufgrund meines Äußeren und der Assoziation, dass ich ein „schlimmer Finger“ sein müsste, in Ruhe lassen.

2008 hast Du ein Buch geschrieben, dass Dich von einer sehr privaten Seite gezeigt hat. Was hat Dich dazu bewogen, Dich so offen zu zeigen?

Das ist schwierig zu sagen. Es war natürlich so, dass ich noch nicht zu 100 Prozent bereit war, den Schritt vom Sportler hin zum Funktionär zu wagen. Das Loslassen fiel mir schwer. Die ganzen Sitzungen mit dem Redaktionsteam waren fast wie eine Art Therapie. Als das Buch fertig war, wusste ich endgültig, dass dieses Kapitel vorbei ist und jetzt ein neues anfängt. Dieses Buch zu schreiben, war hilfreich für meine eigene Persönlichkeitsentwicklung, aber ich wollte damit auch anderen etwas mit auf den Weg geben. Gerade Jugendliche und Kids sollten wissen, dass nicht immer alles Gold ist, was glänzt. Nach dem Lesen des Buches soll man mein Leben einschätzen können – das war der und der Spieler und aus dem und dem Grund hat er das und das gemacht. Natürlich spielt aber auch der ökonomische Faktor eine gewisse Rolle, da man mit der Herausgabe eines Buches ja auch ein bisschen was verdienen kann.

Heutzutage haben die Jugendlichen mehr sportliche Möglichkeiten, als es in Deiner Kindheit noch die Regel war. Wenn Du die gleichen Möglichkeiten damals schon gehabt hättest – für welchen Sport hättest Du Dich entschieden?

Ich bin eigentlich super zufrieden, in der Zeit aufgewachsen zu sein, in der ich aufgewachsen bin. Dieser Staat und die Einrichtung „Dynamo Berlin“ haben mir die Möglichkeit gegeben, das aufs Extremste auszuführen, was ich am meisten geliebt habe – nämlich meinen Sport. Insofern war die Zeit einfach großartig für mich. Es ist immer eine Einstellungsfrage, was man am meisten liebt, was man will und was man bereit ist, dafür zu investieren. Ich glaube, ich hätte heute wieder genauso viel investiert, wie zu meiner damaligen Zeit und nicht viel anders gemacht.

Führen Deine Kinder irgendwann die erfolgreiche Handball-Tradition der Kretzschmars fort?

Meine Tochter ist auf einem guten Weg, sie hat Spaß daran und auch eine Menge Talent. Sie muss die Tradition nicht fortsetzen, aber ihre Oma war natürlich auch eine der besten Spielerinnen der Welt, somit fällt der Apfel nicht weit vom Stamm. Sie ist schon sehr motiviert, aber vor allem ist es wichtig, dass ihr der Handball wahnsinnig viel Spaß macht. Das zu sehen, macht mir wiederum selbst sehr viel Spaß.

Wie siehst Du die Tatsache, dass heutzutage viele Jugendliche meist keine Perspektiven haben, nur noch rumhängen und nichts mehr richtig anpacken wollen?

Ich sehe das sehr bedrohlich. Es ist einfach auch eine Generation, was man sicherlich nicht übergreifend formulieren kann, aber was in der Häufigkeit zugenommen hat, die nicht mehr bereit ist sich zu quälen. Wenn es zu kompliziert wird, dann sucht man einen Ausweg und hört damit auf – man sucht sich etwas Neues, was mehr Spaß macht. Es ist heutzutage mehr eine Spaßgesellschaft als eine Leistungsgesellschaft. Auch durch die ganzen Fernsehformate, wie „Deutschland sucht den Superstar“, wo man von einem Tag auf den anderen mit relativ wenig Aufwand berühmt werden kann, scheint sich dies als Philosophie durchzusetzen. Das ist natürlich fatal! Um richtig gut zu werden, bedarf es harter Arbeit. Natürlich braucht man auch Talent, aber um wirklich ganz nach oben zu kommen, muss man verdammt hart arbeiten. Das vergessen leider die Meisten. Dadurch „krankt“ auch ein wenig unser Sportsystem. Die harte Arbeit zahlt sich nicht gleich im ersten Moment, sondern erst viel später aus. Bis dahin verlieren Viele die Lust daran.

Welche anderen Sportgrößen können Dich begeistern?

Ich habe in der Nationalmannschaft mit ganz großartigen Typen gespielt. Das ist für mich immer noch die Parademannschaft, in der ich mich wohlgefühlt habe und wo ich mit Leuten zusammenspielen durfte, die wussten, was sie da machen und warum sie das machen. Typen, die auch charakterliche Werte hatten, die für das ganze Leben hilfreich sein können. Das ist meine Generation gewesen, in der ich gespielt habe und wofür ich sehr dankbar bin. All diese anderen „Superstars“ kenne ich nicht persönlich, deswegen kann ich mir kein Urteil darüber erlauben. Aber ich finde zum Beispiel, dass Dirk Nowitzki ein großartiger Sportler und Botschafter für seinen Sport ist. Auch von seiner ganzen Art her, wie er sich verhält und bewegt ist er ein Vorbild für die heutige Jugend, wie es größer nicht sein könnte.

Bei der SC DHfK kümmerst Du Dich verstärkt auch um die Sponsorengewinnung. Sieht man Dich hier in Schlips, Anzug und Mittelscheitel oder laufen die Gespräche hier eher zwanglos ab?

Maskottchen BalLEo

Ich glaube, dass es Sponsoren oder potentielle Sponsoren eher irritieren würde, wenn ich im Anzug erscheine. Das wäre auch wenig authentisch. Das Projekt SC DHfK ist authentisch und ich versuche, das auch zu bleiben. Es ist auch nicht so, dass, wenn man nicht im Anzug zu einem Meeting kommt, die Sponsoren dann gleich auf Ablehnung gehen. Im Gegenteil – es ist immer noch Sport und Sport ist leger. Da sollte man sich nicht verstellen. Bei Galas oder Abendveranstaltungen gehe ich hin und wieder im Anzug. Das mache ich dann auch mal gerne. Aber prinzipiell gehe ich eher sportlich, vielleicht ein Polo-Hemd maximal, aber ansonsten eher T-Shirt und Jeans.

Die stärkste Liga der Welt und Sachsen – passt das irgendwann einmal zusammen oder sind mit dem Erreichen der 2. Bundesliga die Möglichkeiten ausgeschöpft?

Das ist unser Traum. Dafür sind wir angetreten und haben dies auch relativ offensiv formuliert, wofür wir am Anfang sicherlich belächelt worden sind. Mittlerweile nimmt man uns sehr ernst. Wir haben den Sprung in die zweite Liga geschafft und das innerhalb relativ kurzer Zeit. Das ist eine Sensation und großartig, besonders bezogen auf die Entwicklung der Menschen, die da mitarbeiten. Die nächsten Schritte, die wir machen möchten, gehen natürlich auch einher mit Sponsoren, die wir gewinnen können und mit der Erhöhung des Etats. Es ist nun mal auch finanziell abhängig von dem, was wir noch erwirtschaften können. Daher glaube ich schon, dass, wenn wir Leute haben, die wir dafür begeistern können, in das Projekt SC DHfK Geld zu investieren, man in so einer sportverrückten und handballbegeisterten Stadt wie Leipzig gute Voraussetzungen hat. Wäre ich davon nicht überzeugt, hätte ich auch nicht mitgeholfen.

Was kann man in Zukunft von Dir erwarten?

Da wäre zum einen das Projekt „Street- Handball“, was sehr interessant ist und vor allem sehr viel Spaß machen wird. Handball soll zur Trend-Sportart werden, die man nicht nur in der Halle, sondern überall spielen kann. Man kann es sich so ähnlich wie Street-Basketball vorstellen. Wir werden versuchen dieses Projekt auch in Deutschland zu promoten und zu etablieren. Daneben gibt es natürlich noch weitere Wünsche, Träume und Projekte. Im Fernsehbereich bei Sport1 werde ich versuchen, meine eigene Sendung zu bekommen. Das sind alles Sachen, über die man nachdenkt und die momentan noch in der Entwicklung sind. Man muss sehen, was kommt – das ist es, was das Leben aber auch so reizvoll macht. Ich glaube schon, dass ich mich gut positioniert habe und das da noch so Einiges zu erwarten ist.

Vom Stil her bist Du eher eine athletische Mischung aus Bela B. von den Ärzten und Campino von den Toten Hosen – Dein Sohn heißt jedoch Elvis. Wie kam es dazu?

Das ist eigentlich ganz einfach. Elvis ist für mich der größte Rockstar, den es jemals gegeben hat. Ich stehe unheimlich auf seine Musik und bin ein riesiger Fan von ihm. Daher kam auch der Deal mit meiner Frau: Sie suchte den Namen unserer Tochter aus und ich durfte dann den Namen unseres Sohnes aussuchen. Deswegen heißt unser Sohn Elvis Ernesto.

Foto: Nilz Böhme, SC DHfK Leipzig PR

15. August 2011

Weitere Beiträge zu diesen Themen

Zurück

Weitere Artikel aus dem Bereich Menschen

Interview: Danny MacAskill

mehr lesen >>

Surfen in der DDR - Wie Eigeninitiative zur Leidenschaft wurde

mehr lesen >>

Abenteuer Angeln - Naturliebe und Nervenkitzel

mehr lesen >>

Die Mission: Kill your Idols

mehr lesen >>

Faust des Südens, Bein des Nordens - Ein Sachse im Shaolin Kloster

mehr lesen >>