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Interview: Sandra Atanassow

Boxerin Sandra Atanassow

Bauch-Beine-Po-Kurse oder Zumba-Gehüpfe im Fitti? Das ist für Sandra Atanassow definitiv viel zu langweilig. Die energiegeladene Leipzigerin sieht sich lieber im Ring. Im Boxring. Mit Boxhandschuhen und ohne Kopfschutz. Letzterer "Komfort" ist ihr nämlich mittlerweile als Profiboxerin nicht mehr erlaubt. Ein hartes Geschäft. Die beim MDR beschäftigte Diplom-Ingenieurin fühlt sich in der harten Welt des Berufsboxens jedoch außerordentlich wohl und lebt ihren Traum jeden Tag aufs Neue. Wie sie dies im Alltag umsetzt, warum sie sich auch im Judoanzug wohlfühlt und wie sie die deutsche Boxlegende Graciano Rocchigiani in ihre Ecke bekommen konnte, verrät sie uns nachfolgend.

Schon als männlicher Faustkämpfer muss man sich die Frage anhören, warum man sich freiwillig auf die Nase hauen lässt. Als Frau ist das sicherlich noch extremer, oder?

Solch eine Frage wird mir eher selten gestellt. Vielmehr interessieren sich die Leute, wie ich als Frau zum Boxen gekommen bin. In meinem Bekannten- und Freundeskreis gibt es eigentlich niemanden, der meinen Sport verurteilt. Im Gegenteil, ich bekomme sehr viel Anerkennung und Zuspruch, für das was ich tue. Auch meine Familie steht voll und ganz hinter mir. Anfangs war es jedoch für meine Mama etwas problematisch, mich kämpfen zu sehen, aber das hat sich mittlerweile gelegt. Klar, es kam auch schon vor, dass mir jemand ins Gesicht gesagt hat, dass er von Frauenboxen nichts hält. Aber das ist mir egal.

Boxernasen und Blumenkohlohren sind sicherlich kein weibliches Schönheitsideal. Fürchtest du derlei optische Markenzeichen deines Sports?

Boxerin Sandra Atanassow

Darüber hab ich mir noch nie wirklich Gedanken gemacht. Toi, toi, toi, in den vergangenen knapp sieben Wettkampfjahren im Boxen hab ich mir noch keine ernsthaften Verletzungen zugezogen. Und meine Nase war auch noch nie gebrochen. Wer sich darüber ernsthaft Gedanken macht, ist in meinen Augen in der Sportart definitiv falsch. Denn, dass man getroffen wird, gehört nun mal dazu. Auch dass es mal ein blaues Auge oder Ähnliches gibt. Ist das bei mir der Fall, trage ich solche Verletzungen mit Stolz.

Wie bist du überhaupt dazu gekommen, dir die Handschuhe zu schnüren und zu boxen?

Die Begegnung mit dem Boxsport war reiner Zufall oder vielleicht Schicksal?! Nach einigen Jahren und zahlreichen Wettkämpfen im Jazz- und Modern-Dance, hörte ich mit dem Tanzen auf und meldete mich mit einer Freundin in einem Fitness-Studio an. Dort bin ich, durch einen Freund, mal mit zum Boxtraining gegangen und es war Liebe auf den ersten Blick. Sicherlich auch bedingt durch meinen damaligen Trainer, welcher mit Haut und Haaren Kampfsportler ist und diese Faszination auch ausstrahlt. Mich hatte das Training so begeistert, dass ich ab dem Zeitpunkt regelmäßig hingegangen bin. Von da an, nahm alles seinen Lauf…

Jeder Sportler hat Vorbilder. Wer inspiriert dich? Boxlegenden wie Muhammad Ali oder »Iron« Mike Tyson? Oder weibliche Kämpferinnen wie die Boxerin Regina Halmich oder MMA-Star Ronda Rousey?

Ein richtiges Vorbild hab ich nicht. Ich möchte niemanden nachahmen, sondern meinen eigenen Stil entwickeln. Die genannten Namen sind für mich aber durchaus sehr prägende Personen und auch Inspirationen mit dem, was sie geschafft und geleistet haben. Besonders Mike Tyson ist für mich der Inbegriff des Boxens und seine Lebensgeschichte absolut faszinierend! Im olympischen Boxsport gibt es zudem zahlreiche Sportler, die ebenfalls großartiges leisten und die ich bewundere. Aber auch im täglichen Leben begegnen mir so viele Menschen, die mich mit ihrem Engagement begeistern. Alles zusammen gibt mir immer wieder neuen Antrieb und damit verbunden Kraft weiterzumachen.

Als Amateurboxerin warst du lange Zeit sehr erfolgreich, aber für internationale Titelkämpfe wurdest du nicht berücksichtigt. War dies der Verbandspolitik geschuldet oder einfach der Tatsache, zur falschen Zeit in der falschen Gewichtsklasse zu sein?

Ersteres trifft es leider ganz genau. Immer wieder wurden mir neue Steine in den Weg gelegt. Ich war zwar Mitglied der Nationalmannschaft, aber salopp gesagt, war ich nur eine einfache Vereinssportlerin und keine Sportlerin an einem der wenigen Box-Olympiastützpunkte, obwohl ich damals bereits optimal am Olympiastützpunkt Leipzig betreut wurde. Letztendlich bekam ich dadurch nicht den notwendigen Kaderstatus und die Teilnahme an einer EM oder WM blieb mir verwehrt. Sportlich hatte ich mich für alles qualifiziert. Es scheiterte also nur an der Sportpolitik, das Leistungsprinzip galt nicht. Faktoren, die ich nicht mehr beeinflussen konnte.

Am Ende hast du die konsequente Entscheidung getroffen, dem Sport treu zu bleiben und ins Profilager zu wechseln. Wie funktioniert so etwas in der Praxis?

Die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen. Zu sehr war ich im olympischen Boxsport verwurzelt und mein Ziel war immer die Teilnahme an einer EM bzw. WM. Da ich im Amateurbereich für mich keine Zukunft mehr sah, stand ich vor dem Punkt, aufzuhören oder eben diesen Weg zu gehen. Zudem wurde ich in den letzten Jahren mehrfach darauf angesprochen, warum ich nicht zu den Profis wechsle. Nach längerer WettkampfAbstinenz merkte ich, dass ich unbedingt zurück in den Ring will und für mich Aufhören nicht in Frage kam. Ich wollte meine Leidenschaft weiter ausüben und mir nicht sagen lassen, dass hier Endstation ist. Der Wechsel war und ist für mich eine tolle neue Herausforderung, für die es sich zu kämpfen lohnt! In der Praxis hat mich der Wechsel sehr viel Kraft, Zeit, Durchhaltevermögen und Geduld gekostet. Hin und wieder gab es Rückschläge. Solange man kein professionelles Management hat, ist man auf sich allein gestellt. Ich hatte jedoch das großes Glück, dass mir sehr viele Freunde, Bekannte und meine Familie mit Rat und Tat zur Seite standen und vor allem, dass mein Arbeitgeber vollkommen hinter mir steht. Ohne diese Unterstützung hätte ich das alles nicht geschafft.

Im April diesen Jahres kam es dann tatsächlich zu meinen ersten Profi-Kampf. Ganz besonders verdanke ich dieses Debüt Michael Siegel von der BadenBoxPromotion und seiner Profi-Boxerin Melanie Zwecker. Im Rahmenprogramm von ihrem WBF Intercontinental-Titelkampf konnte ich mein Profi-Debüt geben. Beide sind für mich sehr wichtige Bezugspersonen geworden. Melanie und ich waren von der ersten Sekunde an auf einer Wellenlänge, seitdem hat sich eine richtige Freundschaft entwickelt. Würde mich jemand fragen, ob ich den Weg wieder gehen würde, wäre meine Antwort ganz klar »Ja«. Alles Positive und Negative, was ich bis jetzt durchlebt habe, möchte ich nicht missen.

In deinem zweiten Kampf wurdest du von Graciano Rocchigiani betreut. Kannst du uns ein wenig davon berichten und wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Meinen zweiten Kampf absolvierte ich mit Hilfe des Matchmakers Mario Pokowietz bei der Venetis Promotion im Universum Gym in Hamburg. Das mir in diesem Kampf »Rocky« zur Seite stand, war für mich eine sehr große Ehre und natürlich eine grandiose Erfahrung. Im Oktober letzten Jahres gab Rocky bekannt, dass er in Frankfurt am Main seine eigene Boxpromotion etablieren möchte. Über einen guten Freund kam der Kontakt zustande, so dass wir im Januar 2015 zu einem Vorstellungstraining zu ihm gefahren sind. Er fand gut, was er von mir sah. Seit dem Tag, blieben wir fortwährend in Kontakt. Als klar war, wann und wo ich meinen zweiten Kampf absolviere, wollte er gern live dabei sein und im Gespräch entstand die Idee, dass er mich bei diesem als Trainer betreuen würde. Bei der Veranstaltung selbst, gab es eigentlich keine ruhige Minute mehr. Stets und ständig wollten die Besucher Fotos und Autogramme von Rocky. Trotz allem Rummel um ihn, hat er sich voll und ganz auf mich konzentriert und stand mir mit Rat und Tat zur Seite. Er ist ein sehr witziger und sympathischer Mensch, es macht großen Spaß mit ihm zusammenzuarbeiten.

Du hast nun schon zwei erfolgreiche Profikämpfe hinter dir. Wie beurteilst du jetzt den Unterschied zu den Amateuren?

Kurz gesagt: dazwischen liegen Welten. Ohne Kopfschutz, mit viel härteren Handschuhen und getapten Händen wird eine ganz andere Schlagwirkung erzielt. Besonders in meinem zweiten Kampf bekam ich das stark zu spüren. Der Kampf war knallhart und danach wurde mir der Unterschied so richtig bewusst. Mein Respekt gegenüber dem Profiboxen ist enorm gestiegen. Wie so oft, kann man es erst dann beurteilen, wenn man es selber ausprobiert hat. Auch das Training gestaltet sich ganz anders: es wird auf KO trainiert.

Stehen dir in Leipzig die Möglichkeiten zur Verfügung, um im Berufsboxen mithalten zu können?

Ich habe in Leipzig durchaus optimale Bedingungen. Mir war es sehr wichtig, in meinem vertrauten Trainingsumfeld zu bleiben. Es waren zwar einige Klärungen notwendig, aber ich kann weiterhin, sehr zu meiner Freude, in meinem Heimatverein, dem Boxring Atlas Leipzig, trainieren und vor allem weiter mit meinem langjährigen Trainer Torsten Müller zusammenarbeiten. Er hat mich boxerisch sehr geprägt, wir sind ein top eingespieltes Team. Darüber hinaus kann ich weiterhin am Olympiastützpunkt Leipzig und beim Judo Club Leipzig meine Athletik trainieren und dort auf die Erfahrungen der Trainer zurückgreifen. Ganz besonders Markus Jähne stand und steht mir als Trainer zur Seite, sei es bei Fragen und Hilfen oder der Erstellung von Trainingsplänen. Völlig neu hinzugekommen ist das Training in der MACH1-Kampfsportschule in Karlsruhe. Dort habe ich durch Dominik Junge jederzeit die Möglichkeit mit sämtlichen ProfiBoxerinnen der aktuellen Weltranglisten zu trainieren. Was ich natürlich sehr gern und auch regelmäßig nutze.

Judo Club Leipzig? Trainierst du dort wirklich nur die Athletik oder gehst du auch mal auf die Matte?

Am Olympiastützpunkt Leipzig bin ich erstmals mit der Sportart Judo in Berührung gekommen, was meinen sportlichen Horizont sehr erweitert hat. Generell macht es mir großen Spaß, dort zu trainieren, aber vor allem der Kontakt zu den unterschiedlichsten Trainern und Sportlern gefällt mir. Unter anderem lernte ich dort Judoka Simon Yacoub kennen – für mich sportlich und menschlich eine große Bereicherung. Wenn es sich zeitlich vereinbaren lässt, trainieren wir gemeinsam und bringen uns gegenseitig »unsere Sportarten« bei. Darüber hinaus führte ich, allerdings in der Rolle des Trainers, bereits mehrere Box-Einheiten mit Judokas verschiedener Altersklassen durch.

Du bist zwar Profi, aber Boxen ist nicht dein alleiniger Lebensunterhalt. Wie kannst du überhaupt mit der notwendigen Härte und Häufigkeit trainieren?

Solange der Spaß und die Freude am Sport für mich gegeben sind, ist es für mich keine Belastung. Im Gegenteil - ohne meinen Sport würde mir der Ausgleich fehlen. Andersherum genauso. Dadurch, dass ich vorher schon im Leistungs- bzw. Wettkampfsport aktiv war, trainiere ich im Prinzip nicht mehr als vorher, »nur« anders. Darüber nachzudenken, würde auch gar kein Sinn machen, denn eins ist klar: vom Boxen allein kann man nicht leben. Ganz im Gegenteil, derzeit investiere ich mehr. Überall fallen Kosten an. Die Profi-Lizenz, Arztuntersuchungen, Fahrten zu Trainings-Lehrgängen & Sparrings-Meetings, Finanzierung der Kämpfe, Sport-Ausrüstung, Mitgliedsbeiträge und vieles mehr. Alle denken, sobald der Begriff Profi-Boxer fällt: »Oh, da verdienst du ja jetzt richtig viel Geld«. Absolute Fehlanzeige! Ausschlaggebend sind im Profibereich Kontakte und Unterstützungen jeglicher Art. Ob materiell oder finanziell - ich bin für alles dankbar. Zum Beispiel habe ich mit Paffen Sport Boxing bereits einen tollen Ausstatter an meiner Seite. Weitere Sponsoren-Gespräche sind in Planung. Generell ist es für uns Frauen im Boxsport bzw. auch in anderen Sportarten viel schwerer, voran zu kommen. Das Interesse von Sponsoren für uns fehlt leider viel zu oft und wir haben auch keine große Medienpräsenz.

Sicherlich wirst du zum Großteil mit Männern trainieren müssen? Ist dies ein Vorteil, ein Nachteil oder auch bei deinen Gegnerinnen Alltag?

Ja, ich trainiere zu Hause fast ausschließlich mit Männern. Ich sehe das für mich als Vorteil, da ich dadurch mehr Härte im Training erziele. Aber ich trainiere auch sehr gern mit Frauen, es ist einfach was anderes mit ihnen Sparring zu machen.

Wie sieht deine Vorbereitung auf einen Boxkampf genau aus?

In der speziellen Vorbereitung auf den Kampf ist bei mir alles darauf konzentriert: der Trainingsplan, der Alltag, ausreichend Ruhe und Schlaf und natürlich absolut gesunde Ernährung. In diser Zeit bin ich sehr auf mich fokussiert, was mein Umfeld leider auch manchmal zu spüren bekommt, weil ich dann zeitlich sehr eingeschränkt bin. Aber daran haben sich (zum Glück!) eigentlich fast alle gewöhnt.

Mit 31 Jahren bist du in einem Alter, in dem für Leistungssportler der Zenit in der Regel überschritten, zumindest jedoch sehr nahe ist. Wie wirkt sich das auf deine Ziele aus?

Gar nicht. Für mich spielt das Alter keine Rolle. Solange ich körperlich und gesundheitlich fit bin, sehe ich darin null Probleme. Ich habe über die Jahre ein sehr gutes Körpergefühl entwickelt, so dass ich ganz genau weiß, wo meine Grenzen sind und wann ich eine Pause brauche. Da mein Herz für den Boxsport schlägt, werde ich dem Sport wohl immer verbunden bleiben, in welcher Art auch immer. Vielleicht auch als Trainerin.

Was würdest du Mädchen bzw. Frauen raten, die Interesse am Boxen haben, aus verschiedenen Gründen aber noch Zweifel haben?

Einfach ausprobieren, sonst wird man sich immer fragen, wie es wäre wenn. Man kann nur dazulernen.

Gibt es noch etwas, das du unseren Leserinnen und Lesern zur Anerkennung deiner Sportart sagen möchtest?

Unbedingt! Im Boxen geht es nicht darum, sich, hier muss ich mal Klartext reden, sinnlos auf die Schnauze zu hauen. Das macht den geringsten Prozentsatz aus. Im Kampf geht es um Taktik, Cleverness und Schnelligkeit. Das Training ist so vielseitig und facettenreich: Kraft, Ausdauer, Technik, Taktik, Schnelligkeit und boxspezifisches Training. Im Wettkampfsport wird man immer wieder mit neuen Situationen konfrontiert. Mit jedem Kampf sammelt man neue Erfahrungen. Das Gefühl im Ring zu stehen ist einfach unbeschreiblich. Genauso wie das Gefühl, wenn am Ende eines Kampfes dein Arm hoch geht. Aber man muss auch lernen Niederlagen einzustecken und damit umzugehen. Durch den Boxsport habe ich enorm viel an Lebenserfahrung gewonnen und vielseitigstes Wissen erworben, Ernährung, Gesundheit, Psychologie, etc.. Alles in allem hat der Boxsport mein Leben einfach unglaublich positiv beeinflusst.

Fotos: Philipp Kirschner PK Fotografie, Ben Alraum, Daniela Atanassov, Ingolf Keller | Interview: Stefan Mothes

02. September 2015

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