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Interview: Pauline Schäfer

Pauline Schäfer

Die junge Leistungssportlerin Pauline Schäfer ist, das darf man ohne Übertreibung sagen, der neue deutsche Stern am Himmel der Turnerinnen. 2017 holte sie sensationell Gold bei den Weltmeisterschaften in Montreal. Im Saarland geboren, lebt, lernt und trainiert sie seit Jahren in Chemnitz. Im Interview erzählt sie uns mehr über ihre Anfänge, ihren damaligen Wechsel nach Sachsen, die Eigenheiten ihrer Sportart und den nach ihr benannten Schäfer-Salto.

Ende Oktober 2017 hast du in Montreal WM-Gold geholt. Dies war der größte Erfolg er deutschen Turnerinnen seit 47 Jahren. Siehst du dies als Einzelleistung oder als generellen Aufschwung im deutschen Frauenturnen?

Gute Frage. Eigentlich beides. Gold bei Welt- oder Europameisterschaften ist nichts, was den Deutschen regelmäßig zufliegt, aber es ist schon so, dass das Turnen hierzulande generell hochwertiger geworden ist, gerade bei den Frauen. Ich hoffe, mein Erfolg setzt diesen Trend weiter fort.

Turnen ist im Grunde genommen eine „ur-deutsche“ Sportart. Warum konnten die Damen in den letzten Jahrzehnten nicht mehr vorne mitmischen?

Das liegt vor allem daran, dass in anderen Ländern die finanzielle Förderung deutlich besser ist und mehr Geld in den Sport fließt. In Deutschland kann man nicht vom Turnen als Leistungssport leben und muss anderweitig Geld verdienen. Daher ist es fast unmöglich, sich zu 100% auf den Sport zu konzentrieren und in dem zu Umfang trainieren, wie dies als in anderen Nationen der Fall ist.

Blicken wir nun einfach ein paar Jahre zurück – kannst du dich noch an deine ersten Turnstunden erinnern?

Na klar. Meine Brüder haben früher geturnt und ich wollte das natürlich auch ausprobieren. Mit fünf Jahren habe ich in meinem ersten Verein, dem TV Pflugscheid-Hixberg, meine ersten Turnelemente gelernt und die Basis für meine spätere Karriere gelegt.

Warum bist du 2012 aus deiner saarländischen Heimat nach Chemnitz gezogen?

Chemnitz war von den Trainingsbedingungen her am besten für den Leistungssport geeignet. Im Internat war die Koordination zwischen Schule und Training perfekt. Auf der Sportschule konnte ich zwei Schuljahre auf drei verlängern, so dass mehr Zeit für den schulischen Bildungsweg blieb, was mich sehr entlastet hat. Auch die Chemie mit meiner Trainerin Gabi Frehse hat von Anfang an gestimmt, so dass Chemnitz auch im Nachhinein die richtige Entscheidung war.

Wie sieht momentan dein Alltag aus?

Aktuell habe ich wegen meiner Schule etwas mehr zu tun. Ich stehe früh auf, erledige meist schon etwas für die Schule und bereite mich auf das Training vor, was um 9:30 Uhr beginnt und bis 12:30 Uhr geht. Danach habe ich Mittagspause und gehe zur Physiotherapie. Danach geht es wieder zum Training. Gegen 17 bis 18 Uhr ist dies beendet und dann geht es bis 22 Uhr in die Schule.

Was sind die typischen Wehwehchen einer Turnerin?

Als Turner hast du immer etwas, da der ganze Körper hoch beansprucht wird. Bei den Turnierinnen sind es tendenziell der Rücken, die Knie und die Füße. Bei mir sind es aktuell die Schultern und die Handgelenke, die mir Probleme bereiten. Aber so ist der Leistungssport nun mal.

Wie sinnvoll ist beim Turnen eine Spezialisierung auf eine der vier Disziplinen?

Im Mehrkampf musst du vielseitig sein, da macht es keinen Sinn, in einer Disziplin zu glänzen und sonst Mittelmaß zu sein. Bei Mannschaftswettkämpfen ist Vielseitigkeit ebenfalls notwendig, denn wenn eine Turnerin ausfällt, musst du unabhängig der Lieblingsdisziplin einspringen und bestmögliche Leistung abliefern. Eine einseitige Spezialistin, auch wenn sie noch so gut ist, würde das Team nicht voranbringen.

Und wenn man mit einer Disziplin einfach nicht warm wird?

Als Turnerin musst du dich anpassen, anders geht es nicht. Ich bin dafür ein gutes Beispiel. Der Barren war immer meine schwächste Disziplin und hat mich in der Gesamtwertung nach unten gezogen. Teilweise konnte ich das kompensieren, aber am Ende musste ich einfach am Barren stärker werden, sonst hätte ich mir immer wieder die Endnote versaut.

Welchen Stellenwert hat im Wettkampf überhaupt der Sieg in einer Disziplin?

Pauline Schäfer

Es ist auf jeden Fall etwas Besonderes, an einem Gerät die Beste zu sein. Gerade bei meinem geliebten Schwebebalken, der wie das Reck bei den Männern, zu den schwierigsten Disziplinen zählt. Es sind eben nur 10cm und diese verzeihen dir keinen Fehler.

Wie fair ist die subjektive Kampfrichter-Wertung in der Praxis?

Einiges kann man nachvollziehen, anderes wieder nicht. Das macht das Turnen auch für den Zuschauer kompliziert, da man als Laie noch viel weniger verstehen kann, warum es hier und da plötzlich Abzüge gab, obwohl doch alles spektakulär und perfekt aussah. Manchmal ist es auch länderbedingt, wenn du weißt, was ich meine. Grundsätzlich empfinde ich die Wertungen jedoch fair.

Wie der Turner Andreas Bretschneider hast auch du eine Übung, die nach dir benannt ist? Was genau ist der Schäfer-Salto?

Damit ist auf dem Schwebebalken ein Seitwärts-Salto mit halber Längsachsendrehung gemeint. Das Schwierige an diesem Element ist, dass man den Balken im Sprung nicht sieht, also quasi blind fliegt und dabei noch mit den Füßen quer zum Gerät landet.

Mit diesem Sprung bist du also unsterblich in die Historie des Turnens eingegangen, oder?

Ja, auf jeden Fall. Das kann mir keiner mehr nehmen.

Wie lassen sich in einer so traditionsreichen Sportart überhaupt noch neue Elemente entwickeln?

Es wird natürlich immer schwieriger, da die Elemente jetzt schon sehr anspruchsvoll sind und da noch eins draufzupacken ist fast unmöglich. Man muss vor allem das Risiko abwägen, ob es sich überhaupt lohnt, etwas zu turnen, bei dem die Chance des Scheiterns von Natur aus viel höher ist. Trotzdem wird es immer Spezialisten geben, die Neues versuchen und damit auch Erfolg haben.

Mit 16 Jahren warst du bereits WM-Teilnehmerin. Mit 21 Jahren bereits Weltmeisterin. Ist dies eine Zeit, in der Turnerinnen ihren Zenit erreicht haben?

Dies ist stark personenabhängig. Einige schaffen es, bis 30, manchmal auch 35 Jahren zu turnen, bei anderen ist schon mit 25 Schluss. Es kommt eben darauf an, wie dein Körper gebaut ist und wie du Verletzungen verkraftest. Ich würde mal sagen, dass mit 30 in der Regel das Ende erreicht ist. Aber es gibt auch Ausnahmeturnerinnen, wie Oksana Chusovitina, die es mit 42 Jahren noch in ein WM-Finale schaffen. Das ist garantiert nicht die Regel.

Kurzprofil Pauline Schäfer

Geboren: 4. Januar 1997 in Dudweiler
Wohnort: Chemnitz
Beruf: Sportsoldatin
Verein: TuS 1861 Chemnitz-Altendorf / TV Pflugscheid-Hixberg
Trainerin: Gabriele Frehse
Größte Erfolge: Weltmeisterin 2017 (Schwebebalken), 6. Platz Olympia 2017 (Mannschaft), 3. Platz WM 2015 (Balken), Mehrfache Deutsche Meisterin

Foto: DTB / Picture Alliance

03. Juli 2018

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