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Das Silicon Valley der Textilforschung ist Aachen

Aus Algen gewonnener Laufschuh in weißer Farbe

Wächst unsere Bekleidung künftig auf Bäumen oder Feldern? Kommen die Sportschuhe der Zukunft aus dem Meer? Was im Moment noch nach Science-Fiction klingt, könnte schon bald Realität sein. Denn die Bundesregierung fördert im Rahmen des Innovationsraum BIOTEXFUTURE Deutschlands führende Forschungsteams bei der Entwicklung nachhaltiger biobasierter Textilien, um das Ziel der Klimaneutralität auch in diesem Bereich möglichst schnell zu erreichen.

Ziel von BIOTEXFUTURE ist eine rasche Umsetzung von Grundlagenforschung in das reale Leben. Deshalb sind bei diesem Innovationsraum sowohl die Elite der deutschen Textil-Wissenschaft als auch führende Industrieunternehmen mit im Boot. Auf Forschungsseite ist das weltweit führende Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen (ITA) gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Technik und Organisationssoziologie (STO) in der Verantwortung. Für die Industrie übernimmt diesen Part das Weltunternehmen adidas AG.

Konkret ist der Innovationsraum BIOTEXFUTURE einer von vier „Innovationsräumen der Bioökonomie" und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Bei diesen Innovationsräumen geht es darum, einen möglichst effektiven Transfer zu gestalten, damit die Ergebnisse der wissenschaftlichen Grundlagenforschung in praxisrelevante Produkte und Verfahren münden. Es gilt, die vielfach beklagte Forschungs-Praxis-Lücke optimal zu schließen.

Beim Innovationsraum BIOTEXFUTURE mit seinen zahlreichen Projekten steht die Umstellung der textilen Wertschöpfungskette und der einzelnen Herstellungsprozesse von erdöl- auf biobasiert im Fokus. Die Experten aus Wissenschaft und Industrie haben die Forschungsschwerpunkte dazu klar definiert, wobei es auch einen Austausch zwischen den Forschungsteams der verschiedenen Projekte gibt, um mögliche Synergien zwischen den Projekten frühzeitig zu erkennen. Die deutsche Bundesregierung hat den Ehrgeiz, auch auf dem Gebiet der Bioökonomie Deutschland eine weltweit führende Rolle zu sichern, um als Innovationstreiber den Wirtschaftsstandort Deutschland zukunftsträchtig aufzustellen. Entscheidend ist die nicht zuletzt angesichts des Kohleausstiegs und dem damit verbundenen Bedarfen nach neuen Rohstoffressourcen, neuen Industrieansiedlungen und zukunftsorientierten Arbeitsplätzen.

Zum Projektportfolio gehört auch ein Transferprojekt, das die Übertragung der Projektergebnisse, z.B. durch sogenannte Reallabore in die Gesellschaft sicherstellen soll. Hierdurch soll die „Forschung-Praxis- Lücke“ strukturell schon im Projektaufbau geschlossen werden. Das ist in dieser Form ziemlich einzigartig im Rahmen der Forschungsförderung. Gleichzeitig sollen bei der angestrebten Transformation hin zu einer biobasierten Wirtschaft möglichst von Anfang die Gesellschaft mitgenommen werden, die davon betroffen ist: sei es als Konsument*in, Nutzer*in oder Mitarbeitende in Industrie, Handel und S. 2 Verwaltung oder Dienstleistung. In diesem Fall werden Textilien betrachtet, nach Nahrungsmitteln immerhin das Konsumgut Nummer zwei in Deutschland.

„Neue technische Produkte betreffen auch immer den Alltag der Menschen. Es ist daher essentiell, ihre Bedürfnisse schon zu Beginn mit einzubeziehen und sie an den Neuentwicklungen direkt teilhaben zu lassen. Nur so kann ein erfolgreicher technischer und ökonomischer Wandel auch eine breite gesellschaftliche Akzeptanz erzielen“ erläutert Prof. Dr. Roger Häußling, Lehrstuhl für Technik- und Organisationssoziologie (STO) an der RWTH Aachen.

Textilindustrie noch nicht nachhaltig

Aktuell hinterlässt die Textilindustrie einen sehr deutlichen ökologischen Fußabdruck. Jährlich werden weltweit über 120 Millionen Tonnen Textilfasern verarbeitet, wovon ca. 70 Prozent auf Erdölbasis erzeugt werden. „Wir sind überzeugt, dass wir durch bahnbrechende Forschung den Weg für Innovationen in der Textilindustrie ebnen können. Diese Forschung befindet sich heute teilweise noch in einem frühen Stadium, wird aber morgen von entscheidender Bedeutung sein“, ergänzt Prof. Dr. Thomas Gries, der Leiter des Instituts für Textiltechnik Aachen (ITA).

Die Herstellung von Kunststoffen aus Erdöl verursacht eine Vielzahl ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Probleme. Dazu gehören wachsende Müllberge und hoher CO2-Ausstoß, Verbreitung von möglicherwiese erbgutschädigenden und nicht abbaubaren chemischen Schadstoffen, Verschmutzung von Luft, Erde und Wasser etc. Daher ist ein grundlegender industrieller Umschwung erforderlich. Die Ausgangsbasis hierfür soll in diesem Projekt mit starken und sehr engagierten Partnerorganisationen geschaffen werden.

Ganzheitlicher Forschungsansatz

BIOTEXFUTURE verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der die gesamte textile Wertschöpfungskette samt ihrer vielfältigen Herstellungsprozesse im Auge hat. Dies spiegelt sich in den verschiedenen technologischen Forschungsbereichen ebenso wider wie in der begleitenden sozioökonomischen Forschung. BIOTEXFUTURE unterscheidet sich von anderen Förderformaten durch sein zentralisiertes Programm-Management mit einem engagierten Team, das den Innovationsraum proaktiv steuert. Diese Projektgestaltung hat auch den Industriepartner adidas AG überzeugt, bei BIOTEXFUTURE mitzuwirken: „adidas arbeitet seit vielen Jahren am nachhaltigen Umbau seiner Produktpalette. Im Jahr 2025 sollen 90 Prozent aller Artikel nachhaltig sein. Dazu brauchen wir eine enge Zusammenarbeit zwischen Industrie und Forschung und eine schnelle Umsetzung der Ergebnisse in die Praxis. Auf diese Weise schaffen wir gemeinsam mit unseren Forschungspartner*innen ganz konkrete, greifbare Verbesserungen zu erreichen“, fasst Jan Hill von adidas das Engagement des Sportartikelherstellers für BIOTEXFUTURE zusammen.

Die Verwirklichung der Ziele von BIOTEXFUTURE erfordert:

  • eine biobasierte Rohstoffbasis für Kunststoffe, die ganzheitlich nachhaltig ist;
  • die Anwendung in der Textilindustrie, beginnend bei der Biopolymer-Entwicklung bis zur Herstellung von Textilien;
  • die gesamtgesellschaftliche Transformation hin zu einer Bioökonomie aus sozialer und wirtschaftlicher Sicht

Im Rahmen des Innovationsraums BIOTEXFUTURE werden aktuell die folgenden Projekte umgesetzt:

  • ALGAETEX Aus Algen gewonnene Biopolymere für die Verwendung in Textilien. Konkret geht es aktuell um Bekleidung und Schuhe (Beispiel siehe Foto)
  • BIOBASE Biobasierte Alternativen aus verfügbaren Ressourcen für textile Anwendungen mit wettbewerbsfähigen Kosten und Eigenschaften für die Bereiche Automobil, Bekleidung, Innenausstattung und technische Textilien.
  • BIOCOAT Entwicklung von biobasiertem und biologisch abbaubarem Material, das die heute in Hochleistungstextilien verwendete konventionelle Imprägnierung ersetzen kann.
  • BIOTURF Entwicklung einer Kunstrasenstruktur aus Bio-Polyethylen (PE), die mindestens so leistungsfähig ist wie die bislang erdölbasierten Materialien, dabei recyclingfähig und ohne Mikroplastikverfüllung.
  • CO2TEX Die Etablierung von kommerziell nutzbaren elastischen Garnen aus CO2-haltigem TPU (Thermoplastisches Polyurethan, einem Kunststoff), so dass dieses Treibhausgas der Atmosphäre entzogen wird.
  • DEGRATEX Entwicklung biobasierter, abbaubarer Geotextilien für Anwendungen z.B. im Landschaftsoder Straßenbau o.Ä.
  • GOLD Analyse der Goldschlägerhaut sowohl mechanisch als auch strukturell und genetisch bis auf die molekulare Ebene, um so später ein elastisches Gewebe auf biomolekularer Basis entwickeln zu können.
  • TRANSITIONLAB Erforschung von Erfolgsfaktoren und ethischen, rechtlichen und sozialen (ELSI) Aspekten von Biotextil-Innovationen für einen gesellschaftlichen Übergang zur Bioökonomie sowie Förderung von Biotextil-Netzwerken.
  • FUNGAL FIBERS Erforschung biobasierter Textilfasern aus einem vielversprechenden pilzbasierten Produktionsprozess für den Sport- und Medizinbereich
  • LIGHTLINING Entwicklung eines leichten, hochisolierenden neuen Zellulose-Aerogel-Vliesstoffes für isolierende Outdoor-Bekleidung

Foto: ITA – Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University

12. Juli 2023

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