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Interview: Tina Dietze

Tina Dietze sitzt in einem wackligen Boot, einem Kanu. Der Alltag spielt sich bei der 23-Jährigen meist auf dem Wasser ab – egal bei welchem Wetter. Der Lohn: die Kajakspezialistin aus Leipzig hat bereits mehrere der größten Titel gewonnen. Dass dies nur mit diszipliniertem Training und so manchem Opfer verbunden ist, wird im PULSTREIBER-Interview deutlich. Zudem spricht sie über die harten Zeiten im Winter und welcher Frage sie immer noch ein wenig hinterher trauert.

Wie verlief deine Kindheit im Sportbereich?
Meine Kindheit war rund um die Uhr mit Sport gespickt. Zu Anfang habe ich noch Reitsport und Judo gemacht. Mit dem Reiten habe ich irgendwann aufgehört, weil ich mich letztendlich für Kanu entschieden habe. Zudem musste man auch immer erst eine Ewigkeit mit dem Auto fahren, da der Reiterhof nicht in Leipzig war. Judo war mir zu anstrengend. Davon mal abgesehen ist ein ganzer Tag in der Halle nichts für mich. Mit dem Wechsel auf das Sportgymnasium entschied ich mich dann meinen Sport auf einer leistungssportlichen Ebene auszuführen. Das Sportgymnasium hat mir somit den Startschuss für meine sportlichen Erfolge gegeben. Nirgends anders kann man sich während der Schulzeit so intensiv seinem Sport widmen.

Wie bist du zum Kanurennsport gekommen?
Ich glaube, ich konnte noch nicht einmal laufen, da saß ich schon im Boot. Ausflüge ans Wasser und diverse Bootspartien waren in meiner Familie schon immer ein Thema. Ich bin mit dem Kanu-Sport groß geworden. Meine ältere Schwester, Claudia Dietze, und auch meine Cousine, Daniela Aleithe, haben damals beide bei der SG LVB fleißig das Paddel geschwungen und da waren alle, wann immer es ging, mit unterwegs. Irgendwann wurde ich auf ihre runden, glitzernden Dinger – auch Medaillen genannt – sehr neidisch und wollte so etwas unbedingt auch haben. Da meine Schwester mir ihre natürlich nicht geschenkt hat, entschloss ich mich dazu meine eigenen Medaillen zu gewinnen. Mit sieben Jahren (1995) bestritt ich meinen ersten Wettkampf.

Und was macht für dich den Reiz am Kajakfahren aus?
Das ist das Zusammenspiel zwischen der körperlichen Anstrengung und Power mit der Sanftheit der Natur. Wobei es auch Momente gibt, bei denen ich die Power der Natur spüren kann und muss. Alles in allem ist es das Bewegen im Freien. Eins und eins mit der Natur sein: Paddeln im Nebel. Paddeln, wenn es schneit. Paddeln im Regen. Paddeln im schönsten Sonnenschein, dem Sonnenauf- oder -untergang entgegen fahren. Das abwechslungsreiche Training, die knappen Rennentscheidungen, der Kontakt mit den Freunden auf Wettkämpfen, das Reisen, all das und vieles mehr machen den Reiz an meiner Sportart für mich aus.

Kanurennsport ist zwar in den Medien vertreten, insbesondere wenn große Wettkämpfe anstehen, aber ansonsten hört man wenig über deinen Sport. Wie siehst du das?
Ja, leider ist das so. Warum auch immer?! Kanu-Rennsport ist attraktiv, hat eine große Bandbreite an Wettkampfstrecken, 200 Meter, 500 Meter, 1000 Meter, 5000 Meter und das im Kajak 1er, Kajak 2er und im Kajak 4er. Und der Kajak-Rennsport ist über viele Jahre schon sehr erfolgreich und medaillenträchtig. Also eigentlich ist alles gegeben, um den Zuschauer anzusprechen. Jetzt brauchen wir nur noch die Medien „im Boot“, um das dem breiten Publikum zu vermitteln. Dann würden eventuell auch potentielle Sponsoren aufmerksamer auf uns werden, wovon beide Seiten sicher profitieren könnten.

Erinnerst du dich noch an bestimmte Momente aus deinen ersten Jahren im Kanu?
Oh ja! 1995 war es endlich soweit: Mein erster Wettkampfstart in Bad Dürrenberg im K2 mit meiner damaligen Zweierpartnerin Janine Werner. Obwohl der erste Start ein voller Erfolg war – wir errangen den ersten Platz – „ärgerten“ wir uns, dass es zur Siegerehrung „nur“ Süßigkeiten und ein T-Shirt gab. Wir wollten doch so gern eine Medaille. Meine Zweierpartnerin war richtig sauer, sodass sie ihre Preise direkt danach auf den Boden schmetterte. Ich kann mich auch noch erinnern, dass es bis zum ersten Mal „ins Wasser reinfallen“ ziemlich lange gedauert hat. Meine damalige Trainerin und Cousine, fragte mich während des Paddelns, ob ich denn schon mal reingefallen wäre. Voller Stolz konnte ich ein Nein verkünden. Keine drei Sekunden später lag ich im Wasser.

Wie würdest Du einem Laien deinen Sport beschreiben?
Du sitzt in einem pfeilartigen Boot, an der breitesten Stelle gerade mal so breit wie dein Po. Unter dir und ringsum dich ist Wasser. Und mit dem Paddel in der Hand, welches links und rechts löffelartige Paddelflächen hat, die du wechselseitig ins Wasser bringst, daran ziehst und durch das Wasser gleitest, kommst Du Meter für Meter nach vorn. KanuRennsport ist eine Wassersportart, bei der man so schnell wie möglich eine festgelegte Strecke auf einem geraden Gewässer mit einem Kanu zurücklegt. Gewonnen hat der, der zuerst mit seinem Kanu die Ziellinie überquert.

Kajakfahren setzt ein hohes Maß an Ausdauer und gleichzeitig Kraft und Explosivität voraus. Wie trainierst du speziell diese?
Da unsere Sportart so vielseitige Anforderungen stellt, bestimmt das auch unseren Trainingsplan. Jeden Tag geht es früh mindestens eine Stunde aufs Wasser. Dabei wird die Ausdauer geschult. Nach einer Stunde Pause zur körperlichen Regeneration, geht es in den Kraftraum zum Hanteltraining und zu den Körperkraftübungen, wie Bauch- und Rückentraining, Liegestütze, Klimmzüge... – ziemlich viele Übungen ohne viel Gewicht bzw. nur mit dem eigenen Körpergewicht. Am Nachmittag geht es noch einmal an die Ausdauer. Eine Stunde lang durchpaddeln oder es werden verschiedene Strecken zwischen 500 m bis 2000 m im Grundlagenausdauer-2-Bereich (GA2) gefahren, das bedeutet, es wird mit 80% der Leistungsfähigkeit arbeiten, um die Standfestigkeit der einzelnen Strecken, die wir im Wettkampf absolvieren müssen, zu erlangen. In der Woche wird in Form von kürzeren Strecken zwischen 50 m bis 200 m auch die Schnelligkeit trainiert. Als vierte Einheit im Wechsel führen wir immer Lauf- und Dehnungssequenzen durch. Unser Training ist sehr abwechslungsreich. So gehen wir im Herbst und im Winter viel Schwimmen, einmal im Jahr Skifahren und mehrmals in die Sporthalle zum Fußball spielen. Die Mischung macht’s, von allem etwas.

Und wie viele Trainingseinheiten absolvierst du vor einem wichtigen Wettkampf?
Bis eine Woche vor dem Wettkampf wird richtig rantrainiert, dann lass ich die letzte Woche etwas ruhiger angehen, damit sich der Körper erholen kann und zum Wettkampf die Topform erlangt. Da heißt es dann Qualität statt Quantität. So fahre ich zum Beispiel in einer Einheit nur noch 8 km statt 10 km, zweimal 500 m GA2 statt zuvor sechsmal. Von Wettkampf zu Wettkampf variiert das ein wenig, da mein Körper eine harte Trainingswoche mal gut und mal weniger gut wegsteckt.

Wie läuft ein typischer Wettkampftag für dich ab?
Je nachdem, wann mein erster Start ist, stehe ich spätestens zweieinhalb bis drei Stunden vorher auf. Anschließend gehe ich gleich frühstücken. Je eher desto besser, damit ich es gut verdauen kann und es während des Wettkampfes nicht schwer im Magen liegt. Dann stelle ich mich moralisch auf den Start ein. Gern entspanne ich mich noch ein wenig mit Musik oder Fernsehen. In der Regel gehe ich 90 Minuten vor dem allerersten Start für ca. 30 Minuten auf das Wasser. In dieser Zeit fahre ich mich ein, damit ich genau zu meinem Start meine maximale Leistung abrufen kann. Ich fahre ein Stück lang hin ca. 10 bis 15 Minuten, damit meine Muskeln warm werden. Dann fahre ich zwischen 250 m bis 500 m ca. ein bis zwei Minuten schon ein knackigeres Tempo, das sind dann ungefähr 80 Prozent von meiner Leistung, damit mein Körper schon mal fühlen kann, wie es in etwa später wird. Dann leg ich noch ein bis zwei kurze Sprints und Starts hin und das war´s. Danach ziehe ich meine Wettkampfbekleidung an. Ab da habe ich ziemlich genau noch eine Stunde. Ich halte mich in Bewegung, damit mein Körper schön warm bleibt. Ich gehe in mich, rede mir gut zu und schnappe mir ca. 20 Minuten vor dem Start mein Boot. Nach dem Rennen fahre ich mindestens 20 Minuten aus, um den gebildeten Laktat aus der Muskulatur zu bekommen und mich für eventuell folgende Rennen wieder fit zu machen. Dann geht’s ab zum Mittag , ein bisschen was Essen und ausruhen. Mittagschlaf mache ich nur, wenn ich kein Rennen mehr habe. An so einem Tag passiert dann nicht mehr viel: andere Rennen ansehen, lesen, fernsehen und auf den morgigen Tag vorbereiten. Habe ich noch ein Rennen, ruhe ich nur. Dann geht es wieder 90 Minuten vorher auf‘s Wasser, allerdings nur noch einmal locker mit ein, zwei Starts. Manchmal hat man auch gar keine Zeit, noch einmal einzufahren. Das entscheide ich dann situationsbedingt und je nach Belangen. Die Rennanzahl bei einem Wettkampf am Tag variiert von keinem bis zu fünf Rennen. Nach einem Wettkampftag geht es zurück in die Unterkunft: duschen, essen und je nachdem, wann ich am nächsten Tag raus muss, treffe ich mich mit den anderen Mädels auf eine Cola oder entspanne mich.

Welche Eigenschaften sollten gute Kajaksportler haben?
Kanuten müssen viel Ausdauer, vor allem psychischer Art, u. a. für das Paddeln bei Wind und Wetter mitbringen, aber auch Kraft und Technik sind wichtig. Genauso gehört eine ordentliche Portion Talent dazu. Auch sollten Kanuten bereit sein, auf vieles zu verzichten, denn es muss sehr viel trainiert werden, zu Wasser, zu Land und im Kraftraum, um am Ende ganz vorn in der Weltspitze mitzufahren und vorne wegzufahren.

Gibt es Momente in Deinem Sportlerleben, die dDu heute anders entschieden hättest?
Kann ich mich nicht erinnern. Ich hatte anscheinend immer das richtige Bauchgefühl. Oder doch, da fällt mir was ein: 2004 gab es ein Projekt an unserer Schule, bei dem es möglich gewesen wäre, eine Woche als Zuschauer zu den Olympischen Spielen nach Athen zu fahren. Diese Möglichkeit hätte ich zu gern wahrgenommen, habe mich damals aber dagegen entschieden, weil genau nach dieser Woche die Deutsche Meisterschaft stattfand. Ich war in dieser Saison das erste Mal Junioreneuropameisterin geworden und wollte zur Deutschen Meisterschaft unbedingt den K1 gewinnen. Ich wusste, dass ich das ohne diese eine Woche Training nicht schaffen würde. Zudem dachte ich damals, dass mein früherer Trainer, Andrè Stimmel, bestimmt nicht erfreut gewesen wäre, wenn ich eine Woche vor der Deutschen Meisterschaft fehlen würde. Vor knapp einem Jahr kam dieses Thema in einem Gespräch wieder auf und ich sagte ihm beiläufig, wie gern ich nach Athen gefahren wäre. Er hat mich mit großem Entsetzen angeguckt und mich gefragt, warum ich denn nicht gefahren sei. So eine Chance, so leicht als Zuschauer zu den Olympischen Spielen zu kommen, die zudem nur alle vier Jahre stattfinden, bekommt man schließlich nur einmal geboten. Zur Deutschen Meisterschaft könne ich jedes Jahr fahren. Klasse – nach diesem Gespräch, hätte ich mich heute anders entschieden, das bereue ich seitdem. Aber immerhin wurde ich mit dem Deutschen Meistertitel belohnt. Meine Entscheidung hatte also auch etwas Positives.

Welche Verletzung hat dich aus dem Tritt gebracht?
Das war im März 2010 kurz vor den nationalen Qualifikationen. Ich hatte eine Zerrung der seitlichen Bauchmuskulatur. Angefangen hat alles wie ein ganz normaler Muskelkater. Ich habe mir natürlich nichts weiter dabei gedacht, bis ich eines Tages nicht mehr aus dem Bett aufstehen konnte und mich nur seitlich herauskullern konnte. Ganz normale Dinge wie Nase putzen, Husten, Lachen, Niesen, selbst das Auto fahren wurden zur Prozedur. An Training war erst recht nicht zu denken – jede Bewegung war sehr schmerzhaft. Erst mit Hilfe von Schmerzmitteln, Spritzen und Physiotherapie setzte die Heilung ein.

Welche Ziele hast du?
Erstmal will ich gesund durch den Winter kommen, das ist schon die halbe Miete. Im Frühjahr, stehen zwei nationale Qualifikationen an. Dort muss ich mich im Einer beweisen und am besten unter den ersten Vier sein. Dann sollte Olympia nichts mehr im Wege stehen. Das eigentliche Ziel sind die Olympische Spiele 2012 in London. Jeder Wettkampf auf dem Wasser hat seine Eigenheiten.

Welcher Kanal oder Fluss ist für dich der anspruchsvollste, oder sind die Wetterbedingungen entscheidender?
Tatsächlich gibt es von Wettkampfstrecke zu Wettkampfstrecke Unterschiede. Das eine Wasser ist sehr kalt und kalkhaltig, dementsprechend sehr hart zu fahren. Das andere ist warm und hat eine weiche Strömung oder es handelt sich mal um ein stehendes Gewässer. Entscheidend sind die Wind- und Wasserbedingungen. Der eine fährt am liebsten mit Rückenwind, ein anderer mit Gegenwind. Ich trainiere am liebsten zu Hause, denn da haben wir erschwerte Bedingungen durch schweres Wasser, auf Grund der niedrigen Tiefe und durch die Strömung. Wenn ich von Leipzig aus zu irgendeinem Wettkampf fahre, habe ich eigentlich nirgendwo großartige Probleme mit dem Wasser. Auch mit dem Wind habe ich in der Regel keine Probleme. Unfair wird es nur, wenn Seitenwind herrscht und einige Bahnen zum Beispiel durch eine Tribüne im Windschatten liegen und andere nicht. Das anspruchsvollste Gewässer war der See zur WM in Canada 2009. Es war sehr warm und das Wasser war so weich, als hätte man das Gefühl sein Paddel durch weiche Butter zu ziehen. Ich hatte echt Probleme den Druck am Paddel zu spüren. Auch war es schwierig, meine Schlagfrequenz richtig einzuordnen.

Wie finanziert du Deine Sportausrüstung und Reisekosten zu den einzelnen Wettkämpfen?
Wettkämpfe oder Trainingslehrgänge werden in der Regel vom Verband oder dem Verein übernommen. Ausgenommen sind Eigenanteile, sowie die An- und Abreisen von diversen Trainingsmaßnahmen. Internationale Wettkämpfe werden durch den Verband finanziert, nationale vom Verein meist mit Eigenanteil des Sportlers. Das Paddel- und Bootsmaterial brauch ich mittlerweile nicht mehr selbst bezahlen. Nur für meine Nahrungsergänzung und Zusatzernährung, sowie Trainings- und Wettkampfbekleidung muss ich selbst aufkommen, ausgenommen davon ist die Nationalmannschaftsbekleidung.

Dein Kajak passt nicht gerade in das Handgepäck eines Fliegers. Wie wird der Transport der Boote organisiert?
Hauptsächlich werden die Boote mit Bootshängern von A nach B gefahren, innerhalb Europas und auch zum Teil über diese Grenzen hinweg. Findet ein Lehrgang oder auch ein Wettkampf in Übersee statt, werden die Boote in Containern verschifft.

Was ist für dich persönlich das Schwierigste am Kajakfahren?
Die beste Mischung aus Kraft, Technik und Ausdauer und gelegentlich auch Taktik zu finden, die am Ende auch zum Erfolg führen soll. Dein schönstes Erlebnis im Sport? Viele Momente sind sehr schön, gerade wenn man auf dem Podest steht. Als ich 2009 zu Sachsens Sportlerin des Jahres gewählt wurde, kam das für mich sehr überraschend, denn es war erst mein erstes Jahr in der Weltspitze. In diesem Jahr holte ich einen Weltmeistertitel und war zwei Mal Vizeweltmeisterin. 2011 haben es meine beste Freundin und ich geschafft, endlich einmal zusammen in einem K2 zu sitzen. Das hatten wir uns schon immer gewünscht und erträumt, aber aufgrund der damals unterschiedlichen Leistung, hat es nie geklappt. Dieses Jahr sollte es so sein. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Alle Einheiten haben unglaublich viel Spaß gemacht. Das Vertrauen zueinander hat uns irgendwie beflügelt. Saßen wir einmal im Boot, wollten wir nicht so schnell wieder raus. Wir hatten dieses Jahr sehr schöne Erfolge, auch wenn der ganz große Erfolg – WMGold – ausblieb, aber immerhin Silber. So bleibt der Traum von einer Goldmedaille zu zweit bestehen und vielleicht haben wir ja die Chance schon zu Olympia.

Welche Distanz liegt dir am besten?
Die 500 Meter. Ich habe die Explosivität, um am Start gut wegzukommen. Außerdem kann ich gut sprinten. Ehe ich mich versehe bin ich schon an der 250-Meter-Marke und ab da, versuche ich nochmal eine Schippe draufzulegen. Die Kurzdistanz macht mir einfach Spaß und ich habe keine Angst, dass ich am Ende der Strecke eventuell einbrechen könnte. Ich kann eine gute zweite Streckenhälfte fahren, ähnlich wie die erste, und das ist viel wert.

Und welche liegt dir am wenigsten?
Die 1000 m. Ich würde sagen, diese Strecke ist bei mir eher unbeliebt, weil sie für mich einfach zu lang und im Kopf zu anstrengend ist. Natürlich schmerzen 500 m nicht weniger. Wenn ich bei einem Wettkampf für die 1000 m eingesetzt werde, bin ich auch voll dabei und kann auch eine gute Leistung abliefern. Dieses Jahr bin ich zur Europameisterschaft den 1000-Meter-K2 gefahren und wir sind zweiter geworden.

Gibt es unterschiedliche Boote für die einzelnen Distanzen?
Ich fahre alle Strecken mit einem Boot. Klar gibt es verschiedene Hersteller und Formen. Somit fährt sich auch jedes Boot anders. Letztendlich muss jeder für sich entscheiden in welchem Boot er am besten paddeln kann. Ich habe es lieber, wenn ich weiß, was mit meinem Boot bei Wind und Wellen passiert, schließlich trainiere ich auch ab Herbst bis zur ersten Qualifikation im Frühjahr damit. Es ist dann einfach Gewohnheitssache, wie das eigene Baby – da will man auch kein anderes haben.

Wie werden die Besatzungen der Zweier- und Vierer-Kajaks in der Nationalmannschaft zusammengestellt?
Die Mannschaftsboote werden zuerst einmal nach den erbrachten Einerleistungen zur Qualifikation besetzt. Dann muss man sehen, ob die Sportler miteinander harmonieren. Mittlerweile gibt es über die Jahre hinweg auch eingefahrene Boote. Diverse Testfahrten geben Aufschluss darüber. Die Mannschaftsboote, sofern die Sportler aus unterschiedlichen Vereinen kommen, trainieren dann nur in den Trainingslehrgängen zusammen.

Was kostet dein Boot und das Paddel?
Mein Boot kostet knapp 3.500 Euro und mein Paddel 449 Euro. Was ist neben Gewicht und Schnitt des Bootes der eigentliche Unterschied zu einem gängigen Freizeit-Kanu? Ein Einer-Kajak im Rennsport darf maximal 5,20 Meter lang sein und muss ein Mindestgewicht von 12 Kilogramm aufweisen. Nichteinhaltung führt zur Disqualifikation. Im Rennkajak sitzt der Sportler auf einem im Boot montierten verstellbaren Sitz. Das Boot wird mit einer im Heck befindlichen Steuerflosse gesteuert und diese wird mit einem Fußsteuer zwischen beiden Füßen bedient. Das Rennboot wird sitzend mit einem Doppelpaddel gefahren, das wechselseitig eingesetzt wird. Zudem findet man in einem Rennboot noch ein Stemmbrett, damit die Sportler sich mit den Füßen abstützen und somit noch mehr Kraft aus dem Rumpf auf die Paddelfläche übertragen können. In einem Freizeit-Kanu hat man keine Mindestgewichtangabe, auch die Länge spielt keine Rolle. Man hat kein Steuer, bis auf ein paar Ausnahmen, und lenkt mit dem Paddel. Meist hat man sogar noch eine Rückenlehne im Boot, damit man schön bequem sitzen kann. Und da das Boot unterhalb sehr breit ist, hat es eine größere Auflagefläche auf dem Wasser als ein Rennboot. Das heißt, es ist nicht so wackelig, dafür ist man aber auch nicht schnell unterwegs.

Was ist das schlimmste am Wintertraining, wenn es so richtig kalt ist?
Alles ist schlimm! Angefangen von der extremen Dunkelheit über die Minusgrade bis hin zu den gefühlten Erfrierungen einiger Gliedmaßen. 6.30 Uhr klingelt der Wecker, 7.30 Uhr geht es aufs Wasser. Es gibt zwar geeignete Kleidung, allerdings kann und darf man auch nicht zu viel anziehen, da die Bewegungsfreiheit sonst eingeschränkt ist. Am schlimmsten sind die Finger. Nach etwa drei Kilometern wird man langsam warm. Aber auch drei Kilometer können ganz schön lang werden, wenn man ab und an mal anhält, um seine Finger unter der Mütze etwas aufzuwärmen. Die Wimpern frieren ein. Das Wasser auf dem Boot, dem Paddel und der Schwimmweste vereist. Der Winter ist echt hart, denn wir paddeln bis der Fluss zufriert. Das höchste der Gefühle sind bei mir -10 bis -12 Grad Celsius. Ab da wird dann nichts mehr warm. Weht noch ein Wind dazu, fühlt sich alles gleich doppelt so kalt an. Im Winter muss man wirklich täglich seinen inneren Schweinehund überwinden und die Zähne zusammen beißen. Wenn nicht die schönen Momente – das Paddeln im Sommer, das Reisen, die Wettkämpfe EM/ WM überwiegen würden – würde ich mich wahrscheinlich für Verrückt erklären. Steht man in der darauf folgenden Saison bei der EM oder WM auf dem Treppchen und hört sogar die Nationalhymne, ist der Winter auch wieder vergessen. Nur dummerweise kommt dann ein nächster. Ein schöner Teufelskreis.

Warum sollten unsere Leser unbedingt mal einen Wettkampf an der Strecke erleben oder sogar ein Rennkajak mal ausprobieren?
Ein Rennkajak mal auszuprobieren ist erstens nicht so einfach wie es aussieht und zweitens gewinnt der Kanute immer einen Kasten Bier oder Sekt. Aussagen wie, „das ist doch easy“ oder „das schaff ich locker“ werden schnell zurückgenommen. Ein Rennkajak zu beherrschen, ist eine echte Herausforderung. Power, Emotionen, Renntaktik, Dynamik und die Möglichkeit, die Sportler hautnah zu erleben, das alles ist es wert, mal bei einem Wettkampf live dabei zu sein.

Fotos: Privat

11. Dezember 2011

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