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Interview: Simon Yacoub

Simon Yacoub

Simon Yacoub will nur eins. Nach Rio de Janeiro. Jedoch nicht an die Copacabana für einen Strandurlaub, sondern auf die Matte. Auf die Judomatte. Nicht heute, nicht morgen, sondern 2016. Zu den Olympischen Spielen. Für den Leipziger geht es nun darum, für sein Geburtsland Palästina die Olympia-Qualifikation zu schaffen, um sich im nächsten Jahr mit den besten Judokas der Welt messen zu können. In unserem Interview erfahrt ihr mehr über die Hintergründe seines Starts für Palästina, seine Sportart, sein Training und die Hürden, die es auf dem Weg zu seinem olympischen Traum zu meistern gilt.

Wie eingangs erwähnt, hast du 2014 bekannt gegeben, international für Palästina zu starten. Wie haben dies deine Mannschaftskollegen vom JC Leipzig aufgenommen?
Einigen hatte ich meine Absichten schon im Vorfeld mitgeteilt, die waren also nicht großartig überrascht. Andere hat es umgehauen. Im Großen und Ganzen steht das Team aber komplett hinter meiner Entscheidung und unterstützt mich, wo es nur geht.

Ist es für den Verein ein Problem, dass du nun einen der limitierten Ausländerplätze in der Mannschaft belegst?
Es gibt bei Hin- und Rückkampf (14 Einzelkämpfe) vier Ausländerplätze, die man besetzen kann. Da meine Gewichtsklasse (60kg) sowieso schon dünn besiedelt ist, ist das natürlich ein herber Dämpfer für den Verein und das Team. Wir haben in meiner Gewichtsklasse zwei junge Burschen, die noch ein paar Jahre brauchen, bis sie Bundesliga-Niveau haben. Also auf den Punkt gebracht, ja es ist schon ein Problem.

Musstest du dir den Vorwurf gefallen lassen, dass du mit Palästina in ein Land ausweichst, in dem die nationale Konkurrenz deutlich schwächer als in Deutschland ist?
Natürlich ist das als Beigeschmack immer mit dabei, aber gefallen lassen muss ich mir gar nichts. Ich habe diesen Weg gewählt, weil ich mir meinen Traum erfüllen will und das sind die Olympischen Spiele. Später will ich mir nicht vorwerfen müssen, es nie versucht zu haben. Dieser Weg ist sehr hart und erfordert darüber hinaus viel Mut, es überhaupt zu wagen. Von daher ist es mir letztendlich völlig egal, was andere über mich denken.

Bekommst du Unterstützung vom palästinensischen Verband?
Leider nein!

Zusammen mit einer Leipziger Werbeagentur hast du in den letzten Monaten medienwirksam auf dich aufmerksam gemacht und bist auf Sponsorensuche gegangen. Konntest du bereits erste Förderer gewinnen?
Die Zusammenarbeit mit dieser Werbeagentur ist leider wieder beendet. Regional konnte ich schon etwas medienwirksamer werden, jedoch ist es extrem schwierig, Förderer in einer »Randsportart«, wie Judo, zu finden. Dann noch alleine und dann noch nicht einmal für Deutschland. Da braucht man schon Leute, die genauso verrückt sind, wie ich. Davon gibt es nicht so viele, aber es gibt sie.

Wofür benötigst du finanzielle Unterstützung?
Vor allem benötige ich das Geld, um die Reisekosten zu decken. Dies nimmt den größten Posten mit unglaublichen 100.000 Euro ein. Trainingssachen, Judoanzüge etc. kaufe ich mir selbst. Alle anderen Kosten traut man sich gar nicht aufzuführen, da sie das Budget nur noch mehr sprengen würden...

Wie wichtig sind Lehrgänge und Turniere?
Sie sind von elementarer Bedeutung, denn nur bei diesen internationalen Turnieren und den anschließenden Trainingscamps kann man sich mit der Weltelite messen.

Wie trainierst du in Leipzig und wie bewertest du die Trainingsbedingungen vor Ort?
In Leipzig geht es vor allem darum, viel Technik- und Athletiktraining zu absolvieren bzw. die Zeit zu Hause zur Regeneration zu nutzen. Die Trainingsbedingungen, was die Halle und Umgebung betrifft, könnten besser nicht sein, jedoch sieht es mit den Trainingspartnern sehr schlecht aus. In meiner Gewichtsklasse gibt es keinen im Männerbereich und die Junioren haben leider keine internationale Qualität, so dass ein adäquates, wettkampfnahes Training auf höchsten Niveau leider nicht gewährleistet ist.

Wie würdest du prozentual die Anforderungen in deiner Sportart einordnen (Erfahrung, Technik, Kraft, Ausdauer)?
Das ist schwer zu sagen. Mein ehemaliger Trainer, Karl-Heinz Deblitz, hat immer gesagt »70 Prozent werden im Kopf entschieden«. Dem kann ich nur zustimmen. Es ist eine so komplexe Sportart, dass man eine prozentuale Verteilung nur schwer vornehmen kann. Sagen wir 30/30/30/10, aber eigentlich ist das wirklich nur über den Daumen gepeilt.

Verbringst du mehr Zeit auf der Matte oder außerhalb beim Kraft- oder Ausdauertraining?
Als Judoka sollte man schon die meiste Zeit auf der Matte verbringen, denn am Ende muss ich meinen Gegner nach den Judoregeln bezwingen und ihn nicht beim Armdrücken oder Bankdrücken schlagen. So ist es auch bei mir. Ich versuche zwei- bis dreimal Technik und zwei- bis dreimal Randori (Kampf) pro Woche zu absolvieren. Der Rest gliedert sich in Athletik- und Stabilisationstraining. Aber auch Sportarten wie Schwimmen, Boxen (mit Sandra Atanassow) oder MMA (bei Marko Zschörner) sind mit dabei, um ein breites Feld an verschiedenen Belastungen abzudecken. Außerdem arbeite ich mit dem Personal Trainer Ken Niestolik zusammen, welcher mir in Sachen Ernährung, Nahrungsergänzung, aber auch in Sachen Mental Coaching zur Seite steht. Darüber hinaus habe ich mit Marcel Ulrich einen Top Partner im EMS-Training gefunden.

Kannst du unseren Leser beschreiben, wie du dich selbst als Judoka siehst?
Wenn du als Judoka kein Fighter bist, kannst du gleich im Bettchen bleiben. Dennoch schätze ich mich eher als Techniker ein. In manchen Momenten fehlt mir aber noch mehr Härte, um notfalls auch brutal einen Wurf durchzuziehen. Deswegen habe ich mich zum »Abhärten« zu den Sportarten Boxen und MMA begeben.

Hast du im Kampf eine bevorzugte Technik, mit der du punktest?
»Tokui-Waza« bedeutet im Judo »eine Technik«, d.h. das ist die Technik, die man am besten kann, eine hohe Erfolgsquote besitzt und die man gegen jeden Gegner anwenden kann. Meine ist der sog. »Tai-otoshi« - der Handwurf. Beim Techniktraining versuche ich, diese Technik gegen alle möglichen »Gegnertypen« zu automatisieren. Das heißt, ich werfe dann die ganze Zeit diese Technik gegen verschiedene Auslagen und gegen verschiedenen Widerstand von Uke (Trainingspartner), mit der Zielstellung, dies dann im Wettkampf so umzusetzen.

Was bedeutet Judo im Gesamten für dich? Siehst du hinter der japanischen Kampfkunst eine Philosophie oder ist Judo für dich reiner Sport, genauso wie z.B. Boxen oder Handball?
Ich lebe diese Sportart, seit ich fünf Jahre bin. Natürlich ist einem das im Kleinkindalter nicht so bewusst, aber mein ehemaliger Schulsportlehrer und Trainer Olaf Schmidt vermittelte uns die Judowerte, wie kein anderer. Es ist nicht nur der Kampf zweier Kontrahenten, die sich gegenseitig zur Aufgabe zwingen wollen. Vielmehr ist es der gegenseitige Respekt und der Handklatsch nach jedem Kampf, egal wie er ausging. Ich habe noch nie grobe Unsportlichkeiten in den letzten 20 Jahren erlebt und das ist unbeschreiblich schön. Gerade in Kampfsportarten z.B. auch MMA ist der Kampf an sich eine brutale Angelegenheit, aber beide Gegner verlassen den Ring bzw. die Matte als Freunde. Was kann es Schöneres geben? Ja, es ist eine Philosophie, eine Lebenseinstellung und Japan lebt diese vielen Werte wie keine andere Kultur!

Wirst du in der kommenden Saison weiterhin für den JCL starten oder passt die Bundesligateilnahme nicht in deinen langfristigen Trainingszyklus?
Genau wie mein Teamkollege Hannes Conrad, welcher auch häufig international unterwegs ist, muss man natürlich immer schauen, wie es passt. Ganz klar stehen aber 2015 und 2016 im Sinne von Olympia.

Wie und wann entscheidet es sich, ob du 2016 in Rio starten kannst?
Es gibt, ähnlich wie beim Tennis, ein Weltranglistensystem, in welchem man sich entsprechend nach vorne kämpfen muss. Dies ist bei der mittlerweile breiten, aber auch qualitativ hochwertigen Masse an Judoka extrem schwer. Die Punkte werden von Mai 2014 bis Mai 2016 gezählt. Außerdem bestünde eventuell eine Minimalchance, eine sog. »Wild-Card« zu bekommen. Diese werden vor allem an Länder mit schwacher Infrastruktur verteilt. Aber auch dies wird sich erst kurz vor Olympia entscheiden. Momentan ist es also noch ein ganz langer Weg bis Rio.

Gibt es in deiner Gewichtsklasse auch einen deutschen Starter, mit dem du bei der Quali konkurrieren müsstest?
Ja, der Münchener Tobias Englmaier. Er war bereits 2012 bei Olympia. Wir kennen uns schon sehr lange und haben ein gutes Verhältnis zueinander. Auf der Matte war´s das dann aber auch erst einmal mit der Freundschaft. Zumindest für fünf Minuten.

Aus welchen Nationen kommen die stärksten Judokas?
Japan, Russland, Korea, Frankreich, Georgien.

Hast du schon einmal nachgeschaut, wie viele palästinensische Judokas bei Olympia schon erfolgreich waren und was eine Olympiateilnahme oder gar Medaille für Palästina bedeuten würde?
Ich weiß, dass 2012 ein Judoka (-73 kg) für Palästina an den Start ging. Leider verlor er den ersten Kampf. Allein eine Teilnahme wäre gerade zur heutigen Zeit wieder eine kleine Sensation. Jeder, der das Ziel Olympia vor Augen hat, spekuliert natürlich auf eine Medaille. Sagen wir es mal so, eine Medaille für Palästina wäre ein Stück Welthistorik, aber der Weg und das Erreichen dieses Ziels ist so hart und weit weg, dass ich mir darüber noch keine Gedanken mache.

Hast du dir schon überlegt, was du machst, wenn der Traum »Rio 2016« in Erfüllungen gehen würde? Lädst du den JCL und seine Fans zu einem gemeinsamen Sushi-Dinner ein?
Das kann ich mir nicht leisten, aber das ein oder andere alkoholfreie Elektrolytgetränk ist bestimmt drin.

Fotos: Philipp Kirschner | PK-Fotografie, twosyde media

28. Februar 2015

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